VIDEOJOURNALISTEN
Eine einfachere Technik hat einen neuen Typ des Fernsehjournalisten hervorgebracht. VJs bieten viele neue Chancen - Kritiker sehen die journalistische Qualität in Gefahr
Eine Technik spaltet die Gemüter: Für die einen ist es, etwas großspurig, "die größte Revolution seit dem Buchdruck", für die anderen eine qualitative Bedrohung eines ganzen Berufsstandes: Videojournalismus. Handliche und leicht zu bedienende Kameras mit einer immer besseren Qualität sowie einfache Schnittprogramme machen es möglich. Journalisten, die früher mit einem kostspieligen Dreimann-Team und teurer Technik unterwegs waren, filmen, schneiden und bearbeiten ihre Beiträge selbst. "Videojournalist", kurz "VJ", werden diese selbst drehenden Reporter genannt.
Als einer der Väter des Videojournalismus wurde in Deutschland der britische Journalist Michael Rosenblum bekannt, der die Idee von der BBC mitbrachte. Anfangs setzten in Deutschland vor allem private Produktionsfirmen auf die neue Technik. Der Hessische Rundfunk (HR) arbeitete als erster ARD-Sender seit 2003 mit Videojournalisten. Dafür wurde der Sender heftig kritisiert. Es gehe nur darum, auf Kosten der Qualität Geld zu sparen, lautete der Vorwurf. Und VJs vernichteten einen Berufsstand, den der Kameraleute. Jan Metzger, ehemaliger Redakteur beim HR und dann beim ZDF, sieht das anders: "Die Redaktionen haben frühzeitig erkannt, dass VJs zusätzliche Möglichkeiten bieten." VJs ermöglichen zum Beispiel Langzeitprojekte, die mit einem kompletten Kamerateam nur schwer zu finanzieren wären. Doch die selbst gedrehten Bilder haben einen schlechten Ruf. Bislang sind sie in der ARD überwiegend in den Dritten Programmen zu sehen - im Ersten fast nie. Dort wird nur gelegentlich auf das selbstgedrehte Material zurückgegriffen.
Anders beim Fernsehen der Deutschen Welle
(DW-TV). Der Auslandssender hatte während des zweiten
Irak-Krieges Probleme, Dreimann-Teams in das Krisengebiet zu
fliegen. "Wir wollten aber originäre Reports und kein
Agenturmaterial", erinnert sich Christian Trippe, heute Leiter des
DW-Studios in Brüssel, der damals das Projekt mitinitiierte.
Mehr als 80 Mitarbeiter hat der Sender mittlerweile zu VJs
ausgebildet, darunter Reporter ebenso wie Cutter und Kameraleute.
DW-TV sendet seit 2003 VJ-Material. Gute VJs müssen
Multitalente sein: Neben der redaktionellen Arbeit, müssen sie
die Kamera bedienen, Ton aufnehmen, schneiden und vertonen.
Journalisten und Kameraleute, die ihren Beruf jahrelang gelernt
haben, sehen dies kritisch. "Oft heißt es: Wenn einer alles
tut, dann kann das Ergebnis nicht gut sein", berichtet Matthias
Zuber. Er ist VJ - und das freiwillig.
Das ist nicht immer der Fall. Viele Journalisten werden von ihrem
Arbeitgeber, gerade bei privaten Fernsehsendern, gezwungen, auch
die Kamera in die Hand zu nehmen - aus Kostengründen. Denn ein
VJ ist um ein Vielfaches billiger als ein Fernsehteam.
Freiberufliche VJs erhalten oft nur einen geringen Zuschlag zu
ihrem Autorenhonorar. Die Sender sparen so Stellen und Kosten ein -
zu Lasten der journalistischen Qualität. Dagegen kämpft
der Deutsche Journalistenverband (DJV). "Niemand darf zum Drehen
gezwungen werden", fordert DJV-Referent Michael Hirschler.
Unbedingt müssten die Mitarbeiter gut ausgebildet werden, denn
andernfalls leide die Qualität. Nicht nur die Gewerkschaften
sehen zudem die Arbeitsplätze von Kameraleuten, Cuttern und
Tonleuten in Gefahr.
Doch wie gut die Ausbildung auch sein wird, "VJs werden herkömmliche Kameraleute nicht ersetzen", sagt Michael Neugebauer, Fortbildungsleiter bei der Electronic Media School in Potsdam (ems). Aufwendige Reportagen mit speziellen Lichtsituationen etwa überforderten viele VJs. Intime Geschichten hingegen könne ein VJ oft besser umsetzen als ein großes Team: "Wenn bei neu geborenen Sechslingen ein Dreimann-Team aufläuft, ist sofort Rambazamba. Allein mit einer Kamera laufe ich einfach nur mit", sagt Matthias Zuber. Viele sehen darin einen qualitativen Vorteil von VJs: Sie kommen dichter an die Menschen heran, die Interviewpartner vergessen die Kamera schneller.
Kritiker bemängeln aber, dass die journalistische Qualität leiden muss, wenn beim Interview auch noch Licht, Ton und Kamera bedient werden müssen. Im Redaktionsalltag entscheidet immer häufiger das Geld, ob ein VJ oder ein Journalist mit Kamerateam eingesetzt wird - und das nicht allein beim Fernsehen. Kaum eine Zeitungsredaktion möchte auf Videos in ihrer Online-Ausgabe verzichten. Auch altgediente Zeitungsschreiber werden neuerdings mit Videokameras losgeschickt, ohne Ausbildung oder Vergütung für die Mehrarbeit. Videojournalismus - ein Trend der Zukunft, der - nicht nur im Fernsehen - kaum mehr aufzuhalten sein dürfte.
Der Autor ist freier Journalist,
Autor und Produzent.