POLITIK IM FERNSEHEN
Nicht ihre Inhalte, sind entscheidend, sondern wie sie präsentiert
werden. Wichtige Themen und eine
investigative Recherche bleiben dabei oftmals auf der Strecke
Verkleidet als türkische Putzfrau oder zu Besuch im Big Brother Container - ließe man sich beispielsweise ein Band zusammenstellen mit TV-Auftritten von Cem Özdemir (Bündnis 90/Die Grünen) und Guido Westerwelle (FDP), würde man staunen, was für Auftritte beide bisher schon hingelegt haben, nur um im Fernsehen als wahnsinnig lockere Typen "rüberzukommen". Auch darin zeigt sich die verführerische Macht des Fernsehens.
Kluge Menschen kennen das Bonmot, dass Fernsehen die Dummen dümmer und die Klugen klüger mache. Das schließt nicht aus, dass im Fernsehen auch kluge Menschen dumme Sachen machen. Das Fernsehen ist per se ein Massenmedium, deswegen und folglich auch immer ein Unterhaltungsmedium. Dies wird vorläufig auch so bleiben. Seine soziale Wirkung aber hat sich verändert: von der Versammlung hin zur individuellen Zerstreuung.
Konnte Konrad Adenauer in einer viel stärker "formierten Gesellschaft" noch dem Wunsch nachjagen, ein regierungstreues Staats-TV zu schaffen, hielten noch in den sechziger Jahren viele Zuschauer Herrn Karl-Heinz Köpcke von der "Tagesschau" für den Regierungssprecher. Heute wirkt jeder Gedanke an eine auf Uniformität zielende gesellschaftliche Integration von oben via Medien nur noch absurd. Auch wenn jeder Bundesbürger noch täglich rund drei Stunden Fernsehen guckt - die Menschen tun es eben nicht mehr zusammen - nicht einmal gleichzeitig. Der Medien-Konsum hat sich individualisiert. Jeder guckt etwas anderes. Gemeinsamen Gesprächsstoff geben große "Straßenfeger" - mit der Sache ist auch das Wort verschwunden - kaum noch her. Dies hat Auswirkungen auch auf die Politik im Fernsehen. Als Friedrich Merz (CDU) einst Sabine Christiansen (ARD) das Kompliment entgegenbrachte, ihre Sendung bestimme die politische Agenda inzwischen mehr als der Deutsche Bundestag, war dieses Lob zugleich eine Kapitulation. Es offenbarte aber auch eine TV-immanente Entwicklung: Der Talk ist zur dominanten televisionären Präsentationsform des Politischen geworden. Darin hat er das Magazin abgelöst. Mit einer doppelten Wirkung: Wie eine Lupe wirkt die Talkshow, wenn es um die menschlichen Seiten des Politikers geht, seine Souveränität, sein Charisma, seine Schlagfertigkeit - wie hinter Milchglas verschwimmen dagegen Fachkompetenz, Stimmigkeit der Fakten oder die innere Logik einer Argumentation. Talkshows sind strukturell national borniert und unterliegen thematischer Einengung: Angstthemen wie Sterbehilfe und Pflegenotstand gehen immer; Strukturelles wie Nahostkonflikt oder "ökologische Produktion" fast nie.
Allein die öffentlich-rechtlichen Sender, so rechnete Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) den Verantwortlichen kritisch vor, zeigten jährlich 380 Talkshows. Diese journalistische Form zeigt zwar Dialoge, ist selber aber keine dialogische Form. Das Bedürfnis danach aber wird wachsen.
Bezogen auf die Politik haben sich die Sender tatsächlich einer Formen-Einfalt unterworfen. Wort- und bildmächtige Politikerportraits sind selten geworden. Auch die Politiker selber weichen kritischer Live-Befragung lieber aus. Wo im Programm finden sich noch politische Langzeitbeobachtungen? Wer untersucht neugierig auch politisch-taktische Prozesse mit forschender Kamera, statt sie in stereotypen Bildern nachzuerzählen? Vom mangelnden Aufwand für investigative Arbeit ganz zu schweigen. Was für ein toller Recherche-Pool könnte entstehen, könnten die geschätzten 17 Millionen Euro, die der medienpolitisch beschlossene bürokratische Drei-Stufen-Test ARD und ZDF von nun an jährlich kosten werden, in Journalismus investiert werden. Nicht für die Masse der Zuschauer, aber für besonders interessierte wird die Rückkoppelung mit den Medienmachern in Foren oder bei Faktenchecks bald selbstverständlich sein.
Dies kann Demokratie fördern - vorausgesetzt, eine "digitale Spaltung" der Gesellschaft in einen unüberbrückbaren Gegensatz zwischen "Info-Elite" einerseits und "neuem desintegrierten Unten" andererseits kann vermieden werden. Das traditionelle Fernsehen wird dafür als Bezugspunkt und Resonanzraum noch lange eine Rolle spielen. In diesem Sinne wird es auch politisch wichtig bleiben, gleichwohl an Relevanz einbüßen.
Willy Brandt mag der erste bundesdeutsche Fernsehkanzler gewesen sein. Helmut Schmidt wie Helmut Kohl taten gut daran, Distanz zu diesem Medium zu wahren. Sie unterwarfen sich seinen Gesetzen von Konfliktinszenierung, hektischer Aktualität und Personalisierung erst, als sie "außer Dienst" waren. Auch heute noch unterstreicht es den Ernst der politischen Absichten, wenn ein Politiker die relative Selbständigkeit der Politik auch gegenüber den Medien betont, statt jeden Quatsch mitzumachen. Die Politiker Gudio Westerwelle und Cem Özdemir sind gerade dabei, das zu lernen. Demokratie ist weder Gag noch pure Inszenierung - aber darauf kommt das Fernsehen nicht von alleine.