JUNGE ZUSCHAUER
Sie sind das Sorgenkind der Programmverantwortlichen. Ein TV-Produzent über Mythen und Auswege aus der Krise
Sie sind nicht nur bei den öffentlich-rechtlichen, sondern auch bei den privaten Sendern ein kostbares Gut: junge Zuschauer. 15 Millionen Menschen sind in Deutschland zwischen 14 und 29 Jahren alt, aber immer weniger sehen fern wie die Generation ihrer Eltern. Schon jetzt ist ein Großteil der Jugendlichen lieber sein eigener Programmdirektor und wählt das, was und wann er es sehen möchte, im Internet selber aus. Ein Beispiel: Im ersten Halbjahr 2008 schauten in dieser Zielgruppe durchschnittlich 290.000 Jugendliche die Tagesschau. RTL erreichte in diesem Alterssegment mit seiner Nachrichtensendung 370.000.
Trotz zahlreicher Bemühungen sind die öffentlich-rechtlichen Sender bislang nicht besonders erfolgreich mit ihren Bemühungen, das Durchschnittsalter ihrer Zuschauer unter 60 zu drücken. Woran liegt das? Sicher nicht an der Inkompetenz der Macher; in den Sendern arbeiten jede Menge Menschen, die immer wieder hervorragendes und erfolgreiches Fernsehen machen. Das Scheitern der Öffentlich-Rechtlichen hat andere Ursachen, die sich in mehreren Medien-Mythen beschreiben lassen:
Das Vorurteil, dass Menschen sich mit zunehmendem Alter quasi automatisch von den kommerziellen Sendern ab- und den öffentlich-rechtlichen Sendern zuwenden, ist längst - und übrigens von der ARD-Medienforschung selbst - widerlegt worden, hält sich aber hartnäckig selbst bei manchen Führungskräften.
Diese Ansicht beruht auf der durchaus begründeten Befürchtung, dass Redaktionen stolz "Verjüngung" ihres Programms verkünden - in Wirklichkeit aber nur ältere Zuschauer vergrault und so den Altersdurchschnitt ihres Programms gesenkt haben. Natürlich ist der Altersdurchschnitt ein sub-optimales Kriterium, um Verjüngungs-Erfolg zu messen, aber als erstes Indiz ist er durchaus brauchbar. Vor allem aber: Es gibt durchaus Sendungen, wie "Tiere suchen…" oder den "Trödelking" (beide WDR) oder auch "Die Deutschen" (ZDF), die beweisen, dass man eben nicht allein die älteren, sondern auch die jüngeren Zuschauer gleichzeitig erreichen kann!
Diese Position hat den Vorteil, dass sie ihrem Vertreter erlaubt, sich als Verteidiger des öffentlich-rechtlichen Fernsehens mit Anspruch zu positionieren, und wirkt durchaus sympathisch - ein wenig wie die honorige Entscheidung eines Boxers, nicht bei einem dubiosen Kick-Box-Turnier anzutreten.
Sie hat allerdings einen Nachteil: Sie nimmt die Niederlage hin - und erspart einem all die Arbeit und die Unruhe, die damit verbunden sind, den schon aus Gründen der gesellschaftlichen Legitimation notwendigen Kampf um jüngere Zuschauer ernsthaft aufzunehmen. Vor allem aber: Sie ist falsch. Natürlich wird niemand bestreiten, dass es für die Öffentlich-Rechtlichen ein leichtes wäre, mehr junge Zuschauer zu erreichen, wenn sie täglich hochwertige US-Produktionen und Bundesliga-Highlights senden könnten.
Gerade jüngere Zuschauer sind erwiesenermaßen besonders interessiert an Themen, die ihre Wirklichkeit widerspiegeln, vor allem wenn sie dazu noch adäquat umgesetzt werden. Als Beispiele seien hier nur Formate erwähnt, die sich mit den Themen "Erziehung" und "Auswandern" beschäftigen.
Die Liste verpasster Themen lässt sich dabei fast beliebig fortsetzen. Neben den bekannten Hindernissen gibt es bei den verantwortlichen Programmmachern aber immer auch wieder neue Wege und Ideen, um jüngere Zuschauer zu gewinnen:
Für Menschen, die gewöhnt sind, das "Diktat der Quote" zu beklagen, sicher ein abstruser Vorschlag, aber tatsächlich liefern die Medien-Daten viele hilfreiche Hinweise zur Optimierung des Programms: Ob Verweildauer, Wanderungsbewegungen, demografische Kriterien - all das ist, professionell interpretiert, für einen Programm-Macher eben kein Fluch, sondern ein Segen. Es hilft ihm, seinen Zuschauer besser zu verstehen.
Ob es um Auswahl der Protagonisten geht oder um die "Neugier" des Kameramanns, die Empathie des Cutters oder die Haltung des Texters, den Einsatz von Musik oder die Sprache - all diese Aspekte müssen berücksichtig werden, um "gute Geschichten gut zu erzählen". Natürlich gilt auch und gerade bei jüngeren Zuschauern, dass der Inhalt immer noch die Form schlägt. Dennoch finden sich im öffentlich-rechtlichen Fernsehen zahllose Beispiele, bei denen "alte" Formen potenziell "junge" Inhalte in den Hintergrund drängen.
Tatsache ist, dass die kommerzielle Konkurrenz zumeist erfolgreicher ist mit ihren Versuchen, jüngere Zuschauer zu erreichen. Schon deshalb ist eine systematische Programm-Beobachtung auch der Konkurrenz ein "Muss". Sicher ist es schöner, Trends zu setzen statt sie zu studieren. Aber ein Sprichwort eines holländischen Kollegen sagt sinngemäß: "Ob du folgst oder vorangehst, wenigstens bewegst du Dich." Und daraus folgt als Fazit: Verjüngung ist nötig, sinnvoll und möglich - wenn sie gewollt ist.
Der Autor ist Leiter Entwicklung
einer Kölner Produktionsfirma.