USA
Einst erfand der amerikanische Sender CNN das Nachrichtenfernsehen. Mit iReport.com propagiert der Sender jetzt die weltweit größte Plattform für Amateure, die weitgehend unkontrolliert ihre Bilder ins Netz stellen wollen
Wer sich mit Susan Grant unterhält, spricht mit den Wurzeln des us-amerikanischen Nachrichtensenders CNN. Sie war Mitarbeiterin Nummer zwei. Nicht zuständig für Journalismus, sondern PR. Heute ist sie verantwortlich für digitale Dienste wie CNN.com und iReport.com. Sie spricht gerne über iReport (zu deutsch: "Ich berichte"). Sie weiß, dass der Dienst Ängste auslöst unter Journalisten. Das sei bei den eigenen Mitarbeitern von CNN anfangs nicht anders gewesen, sagt sie. Damals, beim Start vor mehr als zwei Jahren. Sie nennt die Website ein Experiment. Als CNN im April 2007 ein Amateurvideo vom Amoklauf an einer Universität im US-Bundesstaat Virginia zeigte, das ein Student auf der Website iReport.com eingestellt hatte, stand Grant am Stand von CNN auf einer Fachmesse in Las Vegas. Alle Leute um sie herum seien damals von dem Video und den neuen Möglichkeiten dank iReport sehr beeindruckt gewesen, erinnert sie sich. Das Video wurde danach mehr als zwei Millionen mal abgerufen.
iReport sei eine gemeinsame Idee von Journalisten und Geschäftsleuten von CNN, sagt Susan Grant und versichert, die Ängste der Journalisten hätten sich inzwischen gelegt. Aber das Geschäftsmodell ist nach wie vor unklar. "Wir verkaufen nichts und verdienen nichts an iReport." Klar sei nur, dass iReport irgendwann irgendwie Geld verdienen soll. Wieviel CNN investiert hat, will sie nicht sagen. Sie will nicht den Eindruck erwecken, als betreibe CNN iReport, um billig an Videos zu kommen. Angeblich hat CNN allein für die Internet-Domain 750.000 Dollar bezahlt, wie der Verkäufer im Internet behauptet; Grant will das nicht bestätigen.
Ist iReport die Zukunft des Nachrichtenfernsehens? Frederik Pleitgen zögert mit der Antwort. Er berichtet seit Januar 2007 für CNN International aus Deutschland und Europa. Im Sommer 2007 schickte ihn die Zentrale des Nachrichtensenders in Atlanta nach Griechenland, um über die Waldbrände zu berichten. Er drehte auf dem Peloponnes; die Redaktion ergänzte den Beitrag mit Bildern aus Athen. Dort hatte nämlich ein Bürger gefilmt, wie sich eine Feuerwalze auf die Stadt zubewegt, und diese Bilder auf iReport.com gestellt.
CNN nutze solche Amateuraufnahmen mittlerweile täglich mehrmals in der Berichterstattung, heißt es in Atlanta. Pleitgen sagt, er habe in Berlin ständig zehn Websites aufgerufen. Zwei- bis dreimal täglich surfe er auch auf iReport.com und suche nach originellen Amateurfilmen. Was könnte er verwenden? Die Website iReport.com ist die Antwort des Nachrichtensenders CNN auf YouTube. Jeder kann berichten. Das Nachrichtengeschäft sei keine Einbahnstraße mehr, sondern ein Gespräch, heißt es auf iReport. Eine Nachricht sei, was Zuschauer für eine Nachricht halten. Bürger wollten ihre Meinungen mitteilen und das Gefühl haben, Teil der Recherche zu sein. Zuschauer können alles veröffentlichen, solange es nicht pornografisch, urheberrechts- oder ehrverletzend ist.
CNN setzt auf Selbstkontrolle: Wenn 20 Nutzer vor einem Beitrag warnen, überzieht CNN ihn mit einem virtuellen Warnschleier. Als "ungefiltert und redaktionell unabhängig" bezeichnet CNN die Plattform. Sie funktioniert wie ein soziales Network: 100.000 registrierte Nutzer veröffentlichen laut CNN monatlich mehr als 15.000 Berichte, die von monatlich 2,3 Millionen Nutzern abgerufen werden.
Die amerikanischen Konkurrenzsender Fox News, MSNBC und ABC betreiben mit "uReport", "FirstPerson" und "News i-caught" ähnliche Experimente. CNN verfügt mit iReport.com eigenen Angaben zufolge über die meistbesuchte Online-Plattform dieser Art. Wer veröffentlicht, überträgt CNN das unbegrenzte Recht, die Beiträge kostenlos zu nutzen und sie dafür redaktionell zu bearbeiten.
CNN produziert mit "News To Me" und "iReport for CNN" mittlerweile zwei Sendungen, die aus Amateurvideos bestehen. Echte Nachrichten finden sofort ins Programm, etwa das Video vom Amoklauf im US-Bundesstaat Virginia. Bilder von den Verwüstungen durch Naturkatastrophen sind besonders beliebt, und das weltweit. Im amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf waren Statements von Bürgern zu den beiden Kandidaten gefragt.
CNN nennt die Nutzer wie selbstverständlich Reporter und spricht von Journalismus, Bürgerjournalismus. "Unabhängig" bedeutet bei iReport.com aber nicht, dass ein Journalist die Beiträge prüft und alle Seiten befragt. Bei iReport bedeutet unabhängig das Gegenteil: unabhängig von jeder journalistischen Kontrolle, also ungeprüft.
Nutzt oder schadet iReport.com dem Journalismus? Bürgerjournalismus habe es immer gegeben, behauptet Nick Wrenn, einer der Chefs der digitalen Dienste bei CNN International, der verantwortlich ist für die Nachrichtenproduktion. Wrenn erwähnt Leserbriefschreiber und den Amateur, der den Mord an John F. Kennedy filmte. Natürlich gebe es Journalisten, die skeptisch seien, besonders in Deutschland. Nirgendwo sonst gebe es soviel Angst davor wie in Deutschland. Die Deutschen fragten: Kann man diesen Berichten trauen? Wird der Bürgerjournalismus den professionellen Jour-nalismus ersetzen? Er könne solche Fragen verstehen, sagt Wrenn. Er selbst betrachte das "von Fall zu Fall".
Der Fall Steve Jobs also. Der Chef des Computerherstellers Apple gilt in seinem Unternehmen als unersetzbar. Deshalb ließ die Nachricht, Jobs habe einen schweren Herzinfarkt erlitten, den Börsenkurs von Apple im Oktober 2008 um 5,4 Prozent einbrechen. Ein gewisser "johntw" hatte die Nachricht auf iReport.com platziert. Sie war frei erfunden. CNN betont, dass die Meldung nicht auf CNN gelaufen sei. Der Sturz des Börsenkurses bedeutet aber, dass Nutzer nicht differenzieren und Anleger der Nachricht offenbar glaubten. Die Glaubwürdigkeit von CNN überträgt sich teilweise auf iReport - und vermutlich überträgt sich auch die Unglaubwürdigkeit von iReport auf CNN. Das beste Argument für die Integration von Amateurvideos sind Bilder aus Kriegsgebieten wie Georgien oder Ländern, in denen keine Pressefreiheit herrscht.
An dieser Stelle muss man den Beitrag von Barbara Lüthi über zwangsenteignete Bauern in China erwähnen, für den die Korrespondentin des Schweizer Fernsehens 2008 als deutschsprachiger "CNN Journalist of the year" ausgezeichnet wurde. Das Video wurde mit einem Handy aufgenommen und stammte aus dem Jahr 2005. Sie habe es bei einem Vortrag abgefilmt, sagt Lüthi. Natürlich habe sie Angehörige zum Schauplatz geführt und dort erzählen lassen, wie sechs der Bauern erschlagen wurden.
Aber das Amateurvideo war als Beleg nicht ersetzbar, und ein solcher Beleg sei wichtig, wenn Behörden in China Vergehen bestreiten und Zeugen einschüchtern. Es sei auch wichtig zu ihrem eigenen Schutz. Lüthi ist bei Dreharbeiten schon mehrfach verhaftet worden; sie weiß, wovon sie spricht. Aber sie sagt auch, eine solche Amateursequenz als Beleg sei ein seltener Einzelfall, nicht die Regel.
Thomas Schuler ist freier Journalist.