KONJUNKTUR
Jahrelang war der Staat als Unternehmer nicht mehr gefragt. Jetzt soll er wieder Banken betreiben und vielleicht sogar Autos bauen. Privaten Aktionären könnte die Enteignung drohen
Hypo Real Estate, Opel, Schaeffler, Continenal: Die Liste der angeschlagenen großen deutschen Unternehmen wird länger. Und die Rufe nach Vater Staat als Retter werden lauter. "Als letzte Möglichkeit gibt es die Möglichkeit der Enteignung", sagt Bundeskanzlerin Angela Merkel mit Blick auf die Hypo Real Estate (HRE) sogar. Das Bankhaus hat bereits 102 Milliarden Euro Bürgschaften und Garantien vom Staat erhalten, braucht aber noch viel mehr. Verlustreiche Milliarden-Geschäfte sollen bisher gar nicht in der Bilanz stehen. Die geplante Übernahme von HRE durch den Bund hat heftige Debatten ausgelöst, ob der Staat auch gleich bei Opel einsteigen und bei der in der Finanzklemme steckenden Schaeffler/Continental-Gruppe mit Finanzsspritzen aushelfen soll.
Noch übt die Regierung Zurückhaltung. Am 18. Februar bezeichnete Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) die Verstaatlichung der HRE als letzte Möglichkeit (ultima ratio) und versicherte, das gerade vom Kabinett beschlossene Rettungsübernahmegesetz habe keine lange Zukunft. Nach Übernahme der HRE, deren amerikanischer Hauptaktionär Flowers sich noch sträubt, Milliardenverluste realisieren zu müssen, soll das Gesetz so schnell wie möglich wieder in der Schublade verschwinden. "Niemand in der Bundesregierung will den staatlichen Einfluss ausweiten, sondern es geht darum, öffentliche Mittel abzusichern", appelliert Steinbrück. Doch die Geister, die sie jetzt ruft, wird die Regierung möglicherweise nicht mehr los. Es geht um Arbeitsplätze, die gesichert werden sollen. Opel hat 25.500 Stellen, Schaeffler allein in Deutschland rund 30.000. An beiden Unternehmen hängen jede Menge Zulieferer. Eine ganze Branche steht auf dem Spiel.
Der Druck, etwas zu tun, wächst noch, nachdem die schwedische GM-Tochter Saab Konkurs angemeldet hat und der Liquiditätsbedarf von Opel plötzlich nicht mehr 1,8 Milliarden Euro, sondern 3,3 Milliarden beträgt. Unter bestimmten Bedingungen sei man bereit, über Partnerschaften und eine Beteiligung Dritter zu verhandeln, so eine Erklärung von Opel-Management und Betriebsrat. Der "Dritte" ist immer der Staat. Genauso ist die Lage bei Schaeffler. Ohne Staatshilfe drohe hier die Insolvenz, betont IG Metall-Funktionär Wolfgang Müller.
In der Politik lassen sich erste Frontbegradigungen beobachten. Bei Opel und Schaeffler scheint die Koalition noch nicht zu Interventionen bereit zu sein. Unionsfrak- tionschef Volker Kauder lehnt ebenso wie CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla eine "direkte Staatsbeteiligung an Opel" ab. Der baden-württembergische Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU) will keine Beteiligung an Opel nach dem Vorbild VW. An dem Wolfsburger Autobauer ist das Land Niedersachsen mit 20 Prozent beteiligt, ein Faktum, das in der Diskussion nicht unterschätzt werden darf. Steinbrück hat sich jedoch klar festgelegt und hält jede Staatsintervention über die HRE hinaus für ein Übel. Der europapolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Axel Schäfer, sieht das schon anders: "Notfalls muss sich der Staat zur Rettung von Opel zeitlich befristet an dem Unternehmen beteiligen", so Schäfer zur Westdeutschen Allgemeinen Zeitung. Und Grünen-Fraktionschef Fritz Kuhn hält es für "tragisch, wenn ein Automobil-Dino wie GM ein modernes Unternehmen wie Opel in den Untergang reißen würde". Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) sagt: "Es kann nicht sein, dass gesunde Unternehmen in die Pleite getrieben werden, weil sie wegen der Finanzkrise keine Kredite kriegen."
So ähnlich fing die Debatte bei HRE auch an. Zunächst wurde jede Beteiligung abgelehnt, dann Geld hineingeschossen, und jetzt wird die Übernahme angestrebt, weil die Folgen eines HRE-Konkurses nicht nur dem deutschen Finanzmarkt den Rest geben würden - wie Steinbrück in der Pressekonferenz anzudeuten verstand. Die Wirtschaftszahlen und -umfragen erhöhen den Druck: Im Februar stieg die Zahl der Arbeitslosen um 65.000 auf 3,55 Millionen. Nach einer Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) sind die Unternehmen pessimistischer denn je. Und die Bundesbank stellt fest, das die Konjunkturpakete den eingebrochenen Export nicht kompensieren können und Deutschland deshalb nicht aus der Krise herauskommt. Zumindest die nächsten Monate nicht, erwarten die Bundesbanker.
Mit der im Rettungsübernahmegesetz vorgesehenen Enteignungsmöglichkeit ist für viele in der Union der Scheideweg erreicht: "Jede Enteignung zerstört die Fundamente unserer freiheitlichen Ordnung. Enteignung wäre Verrat am Profil der Union", schimpft Kurt Lauk, Chef des CDU-Wirtschaftsrates. Der finanzpolitische Sprecher der Union, Michael Meister, verteidigt die HRE-Übernahme, will aber von einem "Volkseigenen Betrieb" (VEB) Opel nichts wissen: "Nein, eindeutig nicht!"
FDP und Wirtschaft halten jede Form der Staatswirtschaft für ein Übel: "Hundert Konjunkturpakete können nichts bewirken, wenn ein einziges Enteignungsgesetz die Investoren aus Deutschland vertreibt", so FDP-Chef Guido Westerwelle. Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt äußert sich ähnlich: "Jede Form von Verstaatlichung oder Enteignung ist fehl am Platz und eine Belastung für dem Investitionsstandort Deutschland." Oskar Lafontaine, dem Chef der Linksfraktion, geht alles noch zu langsam: "Merkel und Steinbrück enteignen lieber weiter die Steuerzahler als Bankaktionäre und Heuschrecken."