Das Wahlrecht muss geändert werden. Daran hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung im vergangenen Jahr keinen Zweifel gelassen. Es darf nicht sein, dass in einer bestimmten Konstellation mit sogenannten Überhangmandaten eine Zweitstimme für eine Partei dazu führt, dass sie im Bundestag hinterher einen Sitz weniger hat. Weil die Sache aber nur sehr selten wirklich relevant werden kann und die Materie kompliziert ist, hat das Gericht dem Gesetzgeber Zeit gelassen bis in die Mitte der kommenden Wahlperiode.
Die derzeitigen Regierungsfraktionen haben das als Einladung missverstanden, erst einmal gar nichts zu unternehmen - nach dem Motto: Wer weiß, ob mir das jetzt nützt. Denn von Überhangmandaten profitieren normalerweise Union und SPD. Die Untätigkeit gereicht beiden nicht zur Ehre. Jetzt scheint die SPD auf einmal entdeckt zu haben, dass bei der nächsten Wahl nicht sie selbst (wie derzeit), sondern ihr Koalitionspartner und politischer Gegner mehr Vorteil davon haben könnte, und hat die Sache als höchst dringlich aufs Tapet gebracht.
Dieser plötzlich entdeckte Verfassungspurismus mit parteipolitischem Nebennutzen macht die Sache nun auch nicht mehr besser. So konnten die Grünen mit ihrem Gesetzentwurf, der vergangene Woche im Plenum behandelt wurde, die Uneinigkeit der Koalition vorführen. Hätte man die Reform gleich angepackt, dann wäre eine saubere Lösung gewiss möglich gewesen. Jetzt hopplahopp mit dem Wahlrecht zu spielen, kann nur Verdruss erzeugen.