FINANZEN
Eine große Mehrheit im Bundestag will die HRE verstaatlichen. FDP: Das ist Sozialismus
Die Debatten der letzten Wochen über die Lage der deutschen und der Weltwirtschaft hatten stets einen ähnlichen Einstieg: Die Lage wird schlechter, die Daten werden bedrohlicher, und die getroffenen Maßnahmen reichen noch nicht aus, um die Situation zu stabilisieren. Das Bild wiederholte sich am 6. März in der Debatte des Bundestages über das Finanzmarktstabilisierungsergänzungsgesetz ( 16/12100): "Die schlechten Nachrichten reißen nicht ab", sagte Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) dabei. Die Schockwellen auf Märkten wie in Frankfurt hätten von ihrer Intensität und Gefährlichkeit nichts verloren. Der größte Kreditversicherer der Welt in den USA habe im letzten Quartal einen Verlust von 62 Milliarden Dollar gemacht. Und für die Schrottpapiere der Banken habe kein Land auf dieser Welt eine Lösung. Auch der Bundesrat beschäftigte sich am 6. März mit dem Thema.
Die schlechten Nachrichten trudeln im Inland in Serie ein: Der Maschinenbau meldete ein Auftragsminus von 42 Prozent im Januar im Vergleich zum Vorjahresmonat. Der Export deutscher Autos brach im Februar um 51 Prozent ein. Einziger Lichtblick war der Auto-Inlandsmarkt. Dank Abwrackprämie gab es ein Plus von 21 Prozent. Auf dem Finanzmarkt machte die Deutsche Pfandbriefanstalt (Depfa), Tochter der angeschlagenen Hypo Real Estate (HRE), schlecht von sich reden: Sie zahlte für eine Anleihe keine Zinsen mehr.
Um die Zukunft der HRE drehte sich die Bundestagsdebatte. Der Staat will das Institut als letzte Möglichkeit in eigene Regie übernehmen. Dem dient der Kern des vorgelegten Gesetzentwurfes, das sogenannte Rettungsübernahmegesetz.
Was die Redner der FDP-Fraktion für eine Neuauflage des Sozialismus oder eine "DDR-light" (Rainer Brüderle) hielten, stieß bei den anderen vier Fraktionen auf grundsätzliche Zustimmung. Steinbrück warnte davor, das Thema so grundsätzlich wie die FDP zu behandeln, um nicht alle Lösungsmöglichkeiten zu verbauen: "Wir beschreiten keinen deutschen Sonderweg." Niemand wolle die soziale Marktwirtschaft aushebeln. Andere Länder, die wesentlich stärker dereguliert hätten, seien viel schneller den Weg der Verstaatlichung gegangen. Ein Zusammenbruch der HRE müsse auf jeden Fall verhindert werden: Die HRE sei mit anderen Instituten "so vernetzt, dass ein Zusammenbruch automatisch Folgen hätte für das gesamte deutsche Kreditwesen und über die Grenzen der Bundesrepublik Deutschland hinaus". Das Institut spiele auch auf dem Pfandbriefmarkt eine wichtige Rolle.
Steinbrück machte deutlich, dass eine einfache Beteiligung des Bundes nicht ausreiche. Die HRE könne nur dann an der Bonität des Bundes teilhaben, wenn sie ihm auch zu 100 Prozent gehöre. Das bedeutet, dass sich die Bank genauso zinsgünstig wie der Bund Geld auf den Kapitalmärkten leihen kann. Man müsse darauf achten, "dass die Steuerzahler nicht enteignet werden", indem immer mehr Geld für die HRE ausgegeben werde, warnte Steinbrück.
Grundsätzliche Ablehnung kam vom FDP-Finanzexperten Hermann Otto Solms. "Enteignung ist ein Instrument der sozialistischen Planwirtschaft und nicht der sozialen Marktwirtschaft. Eigentum ist ein Grundrecht. Der Schutz des Eigentums ist ein Grundprinzip unserer Gesellschaftsordnung. Das darf nicht aufgegeben werden", warnte Solms unter Protesten der anderen Fraktionen. Die Regierung suche beim Problem HRE die billigste Lösung, stelle aber die Verfassung zur Disposition.
Der CDU/CSU-Finanzexperte Otto Bernhardt warf Solms vor, keine Lösung aufgezeigt zu haben. Bernhardt meldete aber Änderungsbedarf an dem Entwurf an. Die geplante Verlängerung staatlicher Garantien für Finanzinstitute von 36 auf 60 Monate könne zu einer großen Gefahr für den Pfandbrief- und Unternehmensanleihenmarkt werden. Vor Enteignungen müsse der Bundestag informiert werden. Außerdem verlangte Bernhardt, das Ziel der Reprivatisierung deutlicher zu formulieren.
Hoch zufrieden zeigte sich dagegen der Chef der Linksfraktion, Oskar Lafontaine. Er unterstütze Steinbrück bei dem Ziel, die Enteignung der Steuerzahler zu verhindern, auch wenn das Gesetz zu spät komme. In den vergangenen Monaten sei schon viel zu viel Geld verplempert worden. Die Übernahme der HRE sei die wirkungsvollste und billigste Lösung. Jürgen Trittin (Bündnis 90/Die Grünen) sagte, die HRE sei systemrelevant und müsse gerettet werden. Die Lösung komme jedoch zu spät. Trittins Fraktionskollege Alexander Bonde wunderte sich, dass sich die FDP zum "Schutzheiligen für Verbrecher im Nadelstreifen" mache. Die HRE sei eine Bombe mitten in der Volkswirtschaft, die entschärft werden müsse.
In dem Gesetzentwurf heißt es, dass es in Einzelfällen erforderlich sein könne, ein Unternehmen des Finanzsektors vollständig, aber nur zeitweise und gegen Entschädigung zum Verkehrswert zu verstaatlichen. "Würde die Option in einem Einzelfall als ultima ratio tatsächlich genutzt, so ist das betreffende Unternehmen, sobald es nachhaltig stabilisiert ist, wieder zu privatisieren", schreiben die Koalitionsfraktionen in dem Entwurf. Ein Enteignungsverfahren kann nur bis zum 30. Juni 2009 eingeleitet werden. Damit werde deutlich, dass die Verstaatlichung keine daueroption, sondern nur zur Bewältigung der Finanzkrise zulässig sei.
Die Bundesregierung beschloss inzwischen die Struktur eines 100-Milliarden-Euro-Rettungsschirm für notleidende Unternehmen. Es besteht aus einem Kreditprogramm von 15 Milliarden Euro und möglichen Bürgschaften bis zu 75 Milliarden Euro. Außerdem sollen die Managergehälter begrenzt werden.