Bundeswehr
Der Wehrbeauftragte Reinhold Robbe sorgt sich um die mangelnde Modernität der Truppe
Wie modern ist die Bundeswehr? Wer diese Frage derzeit in Deutschland stellt, denkt meist an die Ausrüstung der Streitkräfte, die nur langsam an die neuen Herausforderungen der weltweiten Einsätze angepasst wird. Auch Reinhold Robbe, Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestages, konnte davon am 26. März bei der Präsentation seines Jahresberichts 2008 ( 16/12200) ein inzwischen vertrautes Lied singen: Nein, es sei nicht modern, wenn ein Soldat sechs Wochen auf ein Paar neue Kampfstiefel warten müsse. Der 84-seitige Bericht ist voll von solchen Beispielen: Piloten klagen über völlig veraltete Funkgeräte und Soldaten des Isaf-Kontingents in Afghanistan - trotz deutlicher Verbesserungen - über zu wenige gepanzerte Patrouillenfahrzeuge vom Typ "Wolf".
Doch Reinhold Robbe denkt weiter, wenn er die Frage nach der Modernität der Bundeswehr stellt. Ihn treibt die Sorge um, dass die Streitkräfte nicht vorbereitet sind auf die deutsche Gesellschaft im 21. Jahrhundert. Auch in der Truppe "spiegeln sich gesellschaftliche Veränderungen wie die zunehmend gewünschte und auch erforderliche Berufstätigkeit beider Partner, nichteheliche Lebensgemeinschaften, ,Patchwork-Familien' und die durch den demographischen Wandel bedingte Pflege naher Angehöriger", heißt es in seinem Bericht.
Beispiel Vereinbarkeit von Familie und Beruf: Welche Bedeutung diesem Thema zukommt, belegt die steigende Zahl der Eingaben beim Wehrbeauftragten. Seit seinem Amtsantritt im Jahr 2005, schreibt Robbe, habe sich diese von 53 auf 141 nahezu verdreifacht. Und: "Die Mehrzahl dieser Eingaben stammt inzwischen von Soldaten." Dass zeige, dass die Vereinbarkeit von Familie und Dienst kein frauenspezifisches Problem ist. "Im Einklang mit der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung nehmen auch immer mehr Soldaten ihre Rolle als Väter aktiv wahr." Und so fordert Robbe schnelle und deutliche Verbesserungen etwa bei der Betreuung von Soldatenkindern, flexiblere Arbeitszeitmodelle und mehr Telearbeitsplätze.
Die politische und die militärische Führung der Bundeswehr sind gut beraten, die Mahnungen des Wehrbeauftragten ernst zu nehmen, wenn der Dienst in der Truppe wieder attraktiver werden soll. Beispiel Sanitätsdienst: Bereits in seinem Jahresbericht 2007 ( 16/8200) hatte Robbe auf die angespannte Personalsituation bei der medizinischen Versorgung hingewiesen. Nun hat sich das Problem drastisch verschärft. Der Bundeswehr fehlen derzeit bereits 430 Sanitätsoffiziere. Dies führe zu "unverhältnismäßigen Belastungen durch zu hohe Einsatzhäufigkeit" für das Sanitätspersonal und zu häufigen Arztwechseln, langen Wartezeiten und unzureichender ärztlicher Betreuung bei den Soldaten.
Allein im vergangenen Jahr haben nach Angaben Robbes annähernd 100 Ärzte der Armee den Rücken gekehrt. Die Abwanderungsquote hat sich damit gegenüber dem Vorjahr verzehnfacht", mahnt der Wehrbeauftragte. Diese "Ärzteflucht" wirke sich für die Zukunft umso gravierender aus, da größtenteils junge Sanitätsoffiziere von der Fahne gingen. Nicht besser stellt sich die Situation beim Nachwuchs dar. Die Bewerberzahlen für eine Laufbahn als Sanitätsoffizier seien um 22 Prozent zurückgegangen, in den kommenden Jahren werde sich dieser Trend wegen der demografischen Entwicklung und des prinzipiellen Ärztemangels in Deutschland weiter verschärfen.
Besonders gravierend wirkt sich der Ärztemängel bei der Betreuung und Behandlung von Soldaten aus, die wegen ihres Einsatzes im Ausland unter posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) leiden. Deren Zahl verdreifachte sich laut Robbe zwischen 2006 und 2008 von 83 auf 245. Allein 226 Fälle seien aus dem Isaf-Einsatz in Afghanistan bekannt. "Umfassende Hilfen für traumatisierte Soldaten sind in der Bundeswehr trotz der seit Jahren bestehenden zunehmenden Problematik aber erst im Aufbau." Und von den rund 40 Dienstposten für Psychiater seien derzeit nur die Hälfte besetzt. Unmodern erscheint auch der Umgang mit dem Problem unter den Soldaten: "Psychische Störungen nach einem Auslandseinsatz", moniert Robbe, "sind in großen Teilen der Truppe leider noch immer stigmatisiert."
Wenig modern mutet es für eine Armee an, die das Leitbild vom "Staatsbürger in Uniform" hoch hält, wenn Soldaten mit ihren Problemen und Beschwerden bei ihren Vorgesetzten auf taube Ohren stoßen und - im schlimmsten Fall - Repressalien erleiden müssen. Die Bundeswehrhierarchie habe sich "nach oben hin zu einem Ja-Sagertum" entwickelt, zitiert Robbe einen Piloten. Das Vertrauen in die militärische und politische Führung nehme ab. Wir melden und es ändert sich nichts!", so lese und höre er es immer wieder in Eingaben und Gesprächen.
Offensichtlich scheuen sich auch zunehmend mehr Soldaten, sich direkt an den Wehrbeauftragten zu wenden, oder sie tun dies nur noch anonym. Im vergangenen Jahr waren es immerhin 50 von insgesamt 5.474 Eingaben. Hinzu kommen die Fälle, in denen Soldaten ihre Eingaben zwar nicht anonym verfassen, aber den Wehrbeauftragten aus Angst vor Benachteiligungen durch ihre Vorgesetzten um vertrauliche Behandlung bitten. 50 Jahre nachdem der erste Wehrbeauftragte sein Amt antrat ist das für Robbe Anlass zur Besorgnis: "Gerade von höheren Vorgesetzten erwarte ich mehr Souveränität und Fähigkeit zur Selbstkritik, wenn ein Soldat von seinem gesetzlich verbrieften Recht zur Eingabe Gebrauch macht."