UNESCO
Experten berichten von ersten Erfahrungen mit dem Unesco-Übereinkommen für immaterielle Kulturgüter
Deutschlands Stimme fehlt. Das machten die Sachverständigen bei dem Expertengespräch im Ausschuss für Kultur und Medien am 25. März deutlich. Thema war das Unesco-Übereinkommen zur Bewahrung des immateriellen Kulturerbes von 2003, das Deutschland noch nicht ratifiziert hat. Das Ansehen der Bundesrepublik in der Unesco sei bisher zwar nicht gesunken, sagte Roland Bernecker, Generalsekretär der Deutschen Unesco-Kommission. Doch wenn Deutschland im Komitee zur internationalen Auswahl der Erbe vertreten wäre, könnte die europäische Sichtweise stärker eingebracht werden, ergänzte Maria Walcher von der österreichischen Unesco-Kommission.
Das Übereinkommen zur Bewahrung des immateriellen Kulturerbes wurde 2003 beschlossen. Es trat im April 2006 in Kraft, nachdem es 30 Staaten ratifiziert hatten. 110 Staaten sind inzwischen beigetreten. Die Organisation der Vereinten Nationen für Bildung, Wissenschaft, Kultur und Kommunikation (Unesco) hat insgesamt 193 Mitglieder. Mit dem Übereinkommen wollen die Länder das kulturelle Erbe schützen, das nicht "greifbar" ist. Dazu gehören Ausdrucksformen wie Tanz und Theater, Bräuche und Feste, aber auch Handwerkstechniken und "Wissensformen". Anfang November des vergangenen Jahres wurde erstmals eine "Repräsentative Liste des immateriellen Kulturerbes" erstellt. 90 als besonders erhaltenswert eingestufte Kulturgüter sind darin aufgenommen worden. Darunter sind die traditionelle Kunqu-Oper aus China, die Sprache und das mündlich überlieferte Erbe des Zápara-Volkes im amazonischen Regenwald - eingebracht von Peru und Ecuador - und der Kulturraum der Insel Kihnu in Estland, zu dem rituelle und zeremonielle Praktiken gehören sowie Kleidung, Musik, Spiele und Handwerk. Die Unterzeichner der Konvention verpflichten sich, Maßnahmen zu ergreifen, um ihr Erbe zu erforschen, zu erhalten, aufzuwerten und neu zu beleben.
Mit dem Übereinkommen wollen die Mitgliedstaaten andere Unesco-Konventionen ergänzen. Schon 1972 wurde die Welterbekonvention verabschiedet, mit der mehr als 870 Kultur- und Naturdenkmäler geschützt werden, unter anderem der Aachener und der Kölner Dom sowie das Dresdner Elbtal. Auf der Liste des Weltkulturerbes sind zu einem sehr großen Teil europäische Denkmäler vertreten. Vor allem außereuropäische Länder haben deshalb auf ein zweites Abkommen gedrängt, dass ihren Formen des kulturellen Erbes eher entgegen kommt. Doch auch osteuropäische Länder wie Estland engagieren sich sehr. Das Übereinkommen ergänzt ebenfalls die "Konvention zum Schutz und zur Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen", die Deutschland 2007 ratifizierte. Mit ihr werden unter anderem seltene Sprachen wie Sorbisch oder Niederdeutsch geschützt.
Die "schwierige Definition des Schutzgegenstandes" sei ein Grund, warum die Bundesländer dem Abkommen skeptisch gegenüberstehen, sagte der Vertreter der Kultusministerkonferenz (KMK), Enoch Lemcke, im Kulturausschuss. Außerdem sei die Abgrenzung zu anderen Unesco-Resolutionen unklar. Das Auswahlverfahren zur Aufnahme eines Erbes in die Liste sehe die KMK ebenfalls skeptisch. Sie befürchte einen Einfluss anderer Staaten auf das, was Deutschland als sein Erbe auswähle. "Es kann keinen Druck von anderen Staaten geben", widersprach der deutsche Unesco-Vertreter Bernecker. Es sei Aufgabe des Vertragsstaates, selbst Vorschläge zu machen. Zunächst werde ein nationales Register der Kulturerbe aufgestellt, dann entscheide das Unesco-Komitee, in dem Vertreter von 24 Vertragsstaaten sitzen, was in die internationale Liste komme. Wichtig sei, dass es bei der Umsetzung des Übereinkommens nicht darum gehe, "Folklore" zu Tourismuszwecken oder rückwärtsgewandte Traditionen zu fördern. Die Beschneidung kleiner Mädchen zum Beispiel, wie sie in vielen afrikanischen Ländern betrieben werde, werde auf keinen Fall auf die Liste des "immateriellen Kulturerbes" gesetzt - auch wenn das Land es als wichtige Tradition empfinde. "Der Respekt der Menschenwürde ist Teil der Konvention", betonte Bernecker.
Die Kosten für die aus dem Übereinkommen resultierenden Projekte seien bisher überschaubar ausgefallen, berichtete Margit Siim von der estnischen Unesco-Kommission über die Erfahrungen aus ihrem Land. Estland hat die Konvention ratifiziert und ist mit zwei Einträgen in der "Repräsentativen Liste" vertreten. Zum einen sei eine nationale Datenbank eingerichet worden, mit der das Erbe registriert werde. Zum anderen seien regionale Programme gestartet worden, für die jeweils 150.000 Euro investiert wurden. Das Geld sei nicht nur vom Staat, sondern auch von Kommunen aufgebracht worden. "Durch die Projekte werden die Gemeinden gestärkt", sagte Siim. Estland habe positive Erfahrungen damit gemacht, die Bevölkerung so weit es ginge mit "Runden Tischen" in die Auswahl der Kulturerbe einzubeziehen.
In Österreich stünden die Heilpraktiker im Fokus des Interesses, berichtete Maria Walcher von der österreichischen Unesco-Komission. Die sogenannten Energetiker spielten im Gesundheitswesen eine große Rolle, eine Evaluation aller Methoden habe es aber noch nie gegeben. Auch das Wissen, wie Menschen sich und ihre Umgebung unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit weiterbringen könnten, spiele eine Rolle. "Wir haben verschiedene Themen anreißen können und Aufmerksamkeit erreicht, die so noch nicht da war", sagte Walcher.