FINANZMARKT
Durch ein Beratungsprotokoll sollen Anleger vor Falschberatung geschützt werden
Für die 61-jährige Kundin der Hamburger Sparkasse war der 1. Juli ein guter Tag. Sie hatte ihre Bank verklagt, weil ein Finanzberater ihr 2007 zum Kauf eines Zertifikates der Lehman Brothers-Bank geraten hatte. Mit dem Bankrott des Kreditinstitutes im September 2008 verlor auch sie ihr Geld. Doch dann urteilte das Hamburger Landgericht, dass die Sparkasse ihr den investierten Betrag von 10.100 Euro zurückerstatten muss: Der Bankberater hatte nämlich nicht darauf hingewiesen, wie hoch sein eigener Profit durch die Vermittlung der riskanten Anlage ausfallen würde. Ob die Klägerin ihr Erspartes tatsächlich bald wieder auf ihrem Konto findet, ist jedoch noch nicht sicher. Denn die Rechtsprechung zur Frage, ob Banken die Provisionen bei allen Wertpapieren offenlegen müssen, ist nicht eindeutig. Die Hamburger Sparkasse hat bereits angekündigt, in Berufung zu gehen.
Die Finanzkrise hat mit voller Wucht verdeutlicht, wie ruinös die Entscheidung für riskante Anlagen besonders für Privatkunden sein kann. Viele Anleger, die in den vergangenen Monaten ihr Erspartes verloren haben, beklagen, dass ihre Anlageberater sie nicht auf die hohen Risiken hinwiesen oder ihnen sogar etwas komplett anderes vermittelten, als das, wonach sie gefragt hatten. So war es auch der Kundin der Hamburger Sparkasse ergangen: Sie suchte die Bank mit dem Wunsch auf, ihr Erspartes befristet in Festgeld anzulegen. Was sie stattdessen bekam, waren Zertifikate der Lehman-Bank. Viele der zehntausenden Anleger, die sich für solche Wertpapiere entschieden, wussten nicht einmal, dass Zertifikate starken Kursschwankungen unterliegen können - und dass sie sogar gänzlich wertlos werden können, wenn der Herausgeber, in diesem Fall Lehman Brothers, Konkurs anmeldet.
Das "Gesetz zur Neuregelung der Rechtsverhältnisse bei Schuldverschreibungen aus Gesamtemissionen und zur verbesserten Durchsetzbarkeit von Ansprüchen von Anlegern aus Falschberatung" ( 16/12814, 16/13672), das am 3. Juli vom Bundestag mit den Stimmen der Großen Koalition und der FDP verabschiedet wurde, will deshalb zweierlei: einerseits darauf hinwirken, dass Finanzberater sorgfältiger auf die Wünsche ihrer Kunden eingehen; andererseits dafür sorgen, dass falsch beratene Anleger ihre Ansprüche vor einem Gericht in Zukunft besser durchsetzen können. Helfen soll dabei ein verpflichtendes Protokoll, das Banken ab dem 1. Januar 2010 nach einem Beratungsgespräch allen Privatkunden aushändigen müssen. Darin muss vermerkt sein, was der Anleger über seine finanzielle Situation erzählt hat, ob er im Umgang mit Wertpapieren ein Neuling oder ein Profi ist, und ob er eine riskante oder eine eher vorsichtige Anlagestrategie bevorzugt. Sollte ein Kunde später seine Bank verklagen, weil er sich falsch beraten fühlt, könnte der Nachweis durch das Protokoll erleichtert werden.
Das Gesetz reformiert aber nicht nur die Bankberatung, sondern auch die Rechte von Gläubigern von Schuldverschreibungen: Die Kompetenzen von Gläubigerversammlungen werden ausgeweitet, außerdem soll für komplexe Finanzprodukte eine größere Transparenz hergestellt werden.
Dass der deutsche Finanzvermittlungsmarkt Mängel aufweist, stellte eine vom Bundesverbraucherministerium in Auftrag gegebene Studie schon im September 2008 fest. Einer Vielzahl von Anlageberatern (in Deutschland kommen auf 1.000 Einwohner 6,1 Berater, in Großbritannien nur 2,7) stünden typischerweise Verbraucher "mit einem unzureichenden finanziellen Bildungsstand gegenüber". Aus Unkenntnis neigen viele Privatanleger dazu, "dem Berater die Entscheidung zu überlassen". Viele sind später mit der Entscheidung unzufrieden: Laut Studie werden 50 bis 80 Prozent aller langfristigen Anlagen vorzeitig und mit Verlust abgebrochen.
Ob das neue Protokoll tatsächlich zu einer Verbesserung der Qualität von Bankberatungen führt, ist noch nicht abzusehen. Der Rechtsanwalt Ulrich Husack, der die geprellte 61-jährige Kundin der Hamburger Sparkasse und mehr als 200 andere Lehman-Geschädigte vertritt, ist skeptisch. Er hätte sich bei Prozessen um Falschberatungen eine "Beweislastumkehr" gewünscht. In diesem Fall müsste die Bank beweisen, dass sie den Kunden korrekt beraten hat und dieser die Risiken bewusst eingegangen ist. Aktuell muss der Kunde den Nachweis erbringen, falsch beraten worden zu sein. Nach seinen Erfahrungen würden Anleger auch falsche Protokolle aus falschem Vertrauen zum Bankberater unterschreiben. Husack fordert deshalb seitens der Anleger ein gesundes Misstrauen und mehr Geld für die finanzielle Bildung von Verbrauchern. Andere Bedenken hegen die Bankenverbände: Dass telefonisch abgeschlossene Finanzverträge nach dem neuen Gesetz eine Woche lang widerrufen werden können, wenn der Kunde das zugeschickte Protokoll als unrichtig empfindet, ermögliche Spekulationen zulasten der Banken, kritisieren sie.
Marco Wanderwitz (CDU) betont die Vorteile des Gesetzes für geschädigte Bankkunden: Ihre Schadensersatzansprüche verjähren in Zukunft erst drei Jahre, nachdem sie vom Schaden erfahren haben - bislang trat das drei Jahre nach Vertragsabschluss ein. Das neue Protokoll sei Anlegern vor Gericht eine große Hilfe, sagt Klaus Uwe Benneter (SPD): "Wenn das Protokoll unschlüssig oder lückenhaft ist, muss nämlich die Bank beweisen, das sie ordnungsgemäß beraten hat."
Mechthild Dyckmans (FDP) begrüßt, dass der ursprüngliche Plan, telefonische Beratungsgespräche aufzuzeichnen, gestrichen worden sei. Für die Linke fordert Sevim Dagdelen den Ausbau der unabhängigen Finanzberatung. Auch Nicole Maisch (Grüne) kritisiert, dass Finanzberatung in Deutschland weiterhin durch Beraterprovisionen finanziert werde.