DATENSCHUTZ
Adresshandel ist weiterhin möglich - unter verschärften Bedingungen
Bei Lidl wurden die Mitarbeiter ausspioniert, ebenso bei der Deutschen Bahn und auch bei der Telekom. Als im vergangen Jahr ein Datenmissbrauchsskandal den anderen ablöste, lud Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) zu einem Datenschutzgipfel. Als dessen Ergebnis wurden im September 2008 Eckpunkte formuliert - Eckpunkte, die sich auch in einem Anfang 2009 von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzentwurf ( 16/12011) wiederfanden. Zum einen sollte in dem Gesetz ein Datenschutzaudit geregelt werden. Mit der Einführung eines Datenschutzsiegels sollten Anreize zur Verbesserung des Datenschutzes in Unternehmen gesetzt werden. Unternehmen sollten sich dazu freiwillig einem "unbürokratischen Datenschutzaudit" unterziehen und Datenschutzkonzepte mit dem Siegel kennzeichnen können. Zum anderen sollte die Verwendung personenbezogener Daten zu Werbezwecken künftig nur noch mit ausdrücklicher Einwilligung der Betroffenen zulässig sein. Weg also vom sogenannten Opt-Out-Verfahren, das vom Kunden verlangt, aktiv der Weiterverwendung seiner Daten zu widersprechen, hin zum Opt-In-Verfahren mit ausdrücklicher Einwilligung. Damit verbunden war auch die Abschaffung des sogenannten Listenprivilegs.
Was der Bundestag nun am 3. Juli mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen verabschiedet hat, hat nach Ansicht der Grünen und der Linksfraktion mit dem Regierungsentwurf nicht mehr allzu viel zu tun. Die Einführung des Datenschutzaudits ist gestrichen worden. Nach dem Willen der Koalition soll zunächst ein dreijähriges Pilotprojekt für eine Branche erfolgen. Ebenso vom Tisch ist die Abschaffung des Listenprivilegs: Listenmäßig erfasste Daten wie etwa Name, Beruf, Adresse, Geburtsjahr oder Titel sollen weiterhin auch ohne Einwilligung weitergegeben werden dürfen, sofern - und das ist neu - die Betroffenen über die Herkunft der Angaben informiert werden.
Für die Datenschutzexpertin der Grünen, Silke Stokar, ist das Gesetz "nicht ausreichend". "Die Aussagen nach dem Datenschutzgipfel werden nicht eingehalten", kritisierte sie und schlussfolgerte: "Die Skandale werden weitergehen." Vom angekündigten "Paradigmenwechsel" sei nichts übrig geblieben, stellte Jan Korte von der Linksfraktion fest: "Das Gesetz ist als Tiger gestartet und als Bettvorleger gelandet." Korte warf der Koalition vor, sie habe sich von einer "penetranten Lobby" beeinflussen lassen.
Dass die von den Koalitionsfraktionen eingefügten Änderungen eine Folge der Kritik der Wirtschaft sind, räumte die Unions-Expertin Beatrix Philipp (CDU) durchaus ein. Ein uneingeschränktes "Opt-In" wäre für die Wirtschaft unzumutbar gewesen, argumentierte Philipp. Das hätten sowohl die Anhörung im Innenausschuss als auch "viele Fachgespräche" gezeigt. Unter anderem der Versandhandel und Zeitschriftenverleger sahen bei einer Abschaffung des Listenprivilegs den Bestand ihrer Branchen gefährdet. Gerade in Zeiten einer Wirtschaftskrise sei eine solche Umkehr "ein Experiment, das besser nicht stattfindet", sagte Philipp. Sie sei "zufrieden", dass nach schwierigen Verhandlungen ein Kompromiss erreicht sei, der zeige, dass die Koalition bis zum Ende handlungsfähig sei.
Dieser Kompromiss sieht nun vor, dass grundsätzlich personenbezogene Daten wie Adressen künftig weitergegeben werden dürfen, wenn der Kunde darin einwilligt. Die entsprechende Textpassage etwa in Vertragstexten soll dabei optisch deutlich hervorgehoben sein müssen. Dass bei der Weitergabe listenmäßig erfasster Daten die Betroffenen über die Herkunft der Informationen unterrichtet werden müssen, soll ihnen ermöglichen, einer solchen Nutzung ihrer Angaben wirksam zu widersprechen.
Ferner soll die Sicherheit von Daten durch Vorschriften zur Verschlüsselung durch Anonymisierung und Pseudonymisierung erhöht werden. Gestärkt werden soll laut Gesetzesbeschluss zudem die Stellung der betrieblichen Datenschutzbeauftragten, für die weitreichende Kündigungsschutzvorschriften vorgesehen sind.
Ebenfalls gestärkt werden sollen die Aufsichtsbehörden: Sie können demnach künftig bei Verstößen gegen Datenschutzregelungen nicht nur Bußgeldverfahren einleiten, sondern auch anordnen, dass der entsprechende Verstoß eingestellt wird. Auch sollen die Bußgelder für Verstöße gegen Datenschutzbestimmungen deutlich angehoben werden. Dabei ist für solche Fälle auch die Möglichkeit der Gewinnabschöpfung vorgesehen.
Er sei "stolz" auf das Gesetz, sagte der SPD-Datenschützer Michael Bürsch: "Damit öffnen wir die Tür zum Datenschutz des 21. Jahrhunderts." Er wies Kritik an dem geänderten Entwurf zurück. Die ursprüngliche Vorlage aus dem Bundesinnenministerium sei verbessert worden, was auch Innenminister Schäuble bestätigt habe. "Das Gesetz bringt für den Datenschutz keine Nachteile, aber viele Vorteile", resümierte Bürsch. Unions-Frau Philipp stellte klar, dass man den eigenen Minister "nicht im Regen stehen gelassen" habe, wie die Opposition behaupte: "Es ist gut für die Demokratie, wenn das Parlament Gesetze diskutiert und auch ändert." Das hätte sie sich bei anderer Gelegenheit auch gewünscht, entgegnete Gisela Piltz (FDP), die das Gesetz dennoch als "Schritt in die richtige Richtung" bezeichnete. Aus Sicht ihrer Fraktion ist der Verzicht auf gesetzliche Regelungen des Datenschutzaudits falsch. In einem Entschließungsantrag ( 16/13696), der aber keine Mehrheit fand, forderte die FDP die "unverzügliche Vorlage" eines dahingehenden Gesetzentwurfes.
Auch Silke Stokar nahm die Aussage Philipps auf. Die Grünen-Abgeordnete räumte ein, selbst schon bei Demonstrationen unter dem Motto "Stoppt Schäuble" teilgenommen zu haben. "So wie sie es verstanden haben, war das aber nicht gemeint", sagte sie in Richtung Philipp. Nicht Schäubles "Datensammelwut" werde nun gestoppt, sondern "ein paar kleine Regelungen", die für eine Verbesserung des Datenschutzes gesorgt hätten. Die Koalitionsfraktionen hätten das Gesetz verwässert. "Sie wollen noch weniger Datenschutz als Schäuble", stellte Stokar fest. Der fraktionslose Abgeordnete Jörg Tauss - ehemaliges Mitglied der SPD-Fraktion - unterstellte der Union "Desinteresse" am Thema Datenschutz. Es werde weniger erreicht als Schäuble angeboten habe.