Im Berliner Bundestagsbüro von Walter Riester (SPD) lehnen die Umzugskartons schon an der Wand. "Wir müssen langsam anfangen, die Bücher und Bilder einzupacken", sagt der frühere Arbeitsminister lächelnd und mit sonorer Stimme, die bei seiner schmächtigen Erscheinung fast ein wenig überrascht. Seit er 2002 für Wolfgang Clement (SPD) seinen Ministersessel räumen musste, ist der Sozialdemokrat Mitglied des Bundestages und gehört dort dem Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung an. Doch im Herbst ist für ihn Schluss, bei der Bundestagswahl am 27. September tritt er nicht wieder an.
Traurig scheint der 65-Jährige, der von 1993 bis 1998 Zweiter Vorsitzender der IG Metall war und von dort in das Amt des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung wechselte, darüber nicht. "Mein Leben definiert sich doch nicht nur über die Politik", lacht er gutgelaunt. "Außerdem weiß ich ja, dass einige Dinge, die ich angestoßen habe, weiterleben. Hier und da habe ich schon meine Spuren hinterlassen."
Die Riester-Rente, klar. Am Anfang eher belächelt, hat sich die von Riester in seiner Zeit als Arbeitsminister ersonnene kapitalgedeckte ergänzende Altersvorsorge zum Erfolgsmodell entwickelt. Mehr als zwölf Millionen Bundesbürger haben inzwischen die nach ihm benannte staatlich geförderte private Zusatzrente abgeschlossen. Riester selbst hat seine Erfindung so bekannt gemacht, dass er bis heute viele Einladungen von Banken und Versicherungsgesellschaften zu Vorträgen über die Riester-Rente erhält. Dass diese teilweise gut honoriert werden und dem Vater zweier Kinder stattliche Zusatzeinnahmen bescheren, war vor zwei Jahren, als die Nebeneinkünfte von Abgeordneten erstmals offen gelegt wurden, Anlass für manch kritischen Medienbericht. Ansonsten aber ist es zuletzt stiller geworden um den gelernten Fliesenleger aus Kaufbeuren. Das liegt zum einen daran, dass er sich völlig unprätentiös von der Rolle des Ministers mit Dienstwagen und Bodyguards verabschiedete und in die des einfachen Abgeordneten, der zu Fuß ins Büro geht, fügte. Zum anderen hat sich Riester mit der Entwicklungspolitik ein Betätigungsfeld ausgesucht, das nicht gerade im medialen Fokus steht. Für ihn ist es die logische Fortsetzung seines politischen Wirkens: "Die Frage der sozialen Gestaltung hat mich immer brennend interessiert", erklärt er. "Als Gewerkschafter wie auch als Minister habe ich mich damit vor allem auf nationaler Ebene auseinandergesetzt. Nun beschäftigt sie mich auf internationaler Ebene: Wie lässt sich die Globalisierung sozial gestalten?" Riesters Hauptaugenmerk gilt dabei dem Aufbau von sozialen Sicherungssystemen in Entwicklungs- und Schwellenländern - ein Thema, dem in der entwicklungspolitischen Debatte längst nicht der Stellenwert beigemessen wird, der ihm Riesters Meinung nach gebührt. "In vielen Entwicklungsländern brechen die traditionellen Sicherungen durch die eigene Familie oder den eigenen Stamm zunehmend weg. Das ist ein gravierendes Problem, denn die überwiegende Mehrheit der Menschen dort ist im Fall von Krankheit, Unfall, Arbeitslosigkeit oder Altersarmut überhaupt nicht abgesichert. Da muss dringend etwas geschehen." Eine Forderung, die so einleuchtend wie schwer umsetzbar scheint. Denn die Voraussetzungen für den Aufbau sozialer Sicherungssysteme sind in einem Land wie Indien gänzlich andere als etwa in Schwarzafrika. Davon lässt sich Riester nicht schrecken. 2006 hat er zu dem Thema eine Anhörung im Entwicklungsausschuss und eine Podiumsdiskussion initiiert. Zwei Jahre später hat er einen Antrag in den Bundestag eingebracht, in dem die Bundesregierung aufgefordert wird, einen strategischen Ansatz zu entwickeln, um Entwicklungs- und Schwellenländer verstärkt beim Aufbau und bei Reformen sozialer Sicherung zu unterstützen.
Mit Erfolg: Kürzlich hat Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) erklärt, dass sich die deutsche Entwicklungsarbeit stärker auf den Ausbau der sozialen Sicherung konzentrieren wolle. Für Riester ein gutes Gefühl: "Das wirkt jetzt also weiter. Was Besseres kann ich mir gar nicht wünschen", sagt er zufrieden. "Da kann ich beruhigt loslassen."