MASDAR CITY
Die Stadt am Persischen Golf soll zum internationalen Zentrum für erneuerbare Energien werden
Durch die Straßen summen Elektroautos, Strom kommt aus Sonnenkollektoren, Wasser fließt aus einer solargetriebenen Entsalzungsanlage am Persischen Golf. Und der Müll wird natürlich vorschriftsmäßig recycelt: Masdar City heißt die erste CO2-freie Stadt der Welt, die 30 Kilometer von der Metropole Abu Dhabi entfernt aus dem Sand gestampft wird. 50.000 Menschen sollen hier leben, 1.500 Firmen wirtschaften. Der Startschuss für das 20-Milliarden-Dollar-Vorhaben fällt im Jahr 2016. "Dieser Ort ist ein lebendes Labor für eine Revolution, die bereits begonnen hat", sagt der Chef des Masdar-Projekts, Sultan Al Jaber.
Dass sich die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) zu einem Zentrum der erneuerbaren Energien mausern, mag auf den ersten Blick verwundern. Über viele Jahre hatte der Staat auf die klassische Palette fossiler Quellen gesetzt. Weltweit sind die VAE immerhin der drittgrößte Öl-Produzent. Darüber hinaus verzeichnen sie nach dem Gas-Imperium Katar den höchsten Kohlendioxid-Ausstoß pro Einwohner. Die Dichte der Raffinerien fordert ebenso ihren Tribut wie die Armada aus Sprit fressenden Geländewagen, die sich tagaus, tagein durch die Boulevards von Abu Dhabi und Dubai schiebt. Nicht zu vergessen die Vielzahl an Klimaanlagen, die den Energieverbrauch während der knal-lend heißen Sommer-Monate steil nach oben treibt.
Doch Masdar City ist mehr als ein publikumswirksamer Marketing-Gag. Früher und radikaler als andere Golfstaaten haben sich die VAE umgestellt. Das Bruttoinlandsprodukt, das derzeit noch zu 90 Prozent von den Einnahmen aus dem Öl-Export abhängig ist, soll auf eine breitere Grundlage gestellt werden. Diversifizierung lautet das Zauberwort. So entsteht in der Nähe von Abu Dhabi Chemaveyaat, eine der größten petrochemischen Anlagen der Welt. Das Werk, an dem der Staatsfonds International Petroleum Investment Company (IPIC) aus Abu Dhabi maßgeblich beteiligt ist, beginnt 2014 mit der Produktion. Auch deutsche Unternehmen sind mit im Boot. Zudem ist in der Nähe von Abu Dhabi die Errichtung einer gigantischen Aluminiumschmelze geplant. Branchen-Experten halten es für durchaus denkbar, dass dort eines Tages Spezialbleche oder Gussteile für europäische Auto-Konzerne hergestellt werden. Die breite Streuung dieser neuen Unternehmenslandschaft, gepaart mit einer wachsenden Bevölkerung, erfordert noch mehr Energie als in der Vergangenheit. Die VAE steuern hier eine Kurskorrektur an: Bis 2020 sollen bereits sieben Prozent des gesamten Energiebedarfs aus erneuerbaren Quellen gespeist werden.
Die Solar-Technik hat dabei eine Schlüsselrolle. Ein Tochter-Unternehmen der öffentlichen Investment-Gesellschaft Mubadala aus Abu Dhabi ist die Eigentümerin von Masdar PV. Windkraft-Anlagen, Biomasse und Kernreaktoren runden den Energie-Mix der Zukunft ab. Für die Emiratis ist es daher nur folgerichtig, dass die Internationale Agentur für erneuerbare Energien (Irena) ihren Hauptsitz in Masdar City haben wird. "Wir können der Welt zeigen, dass erneuerbare Energien machbar sind, und dass dies passieren wird", sagt Irena-Direktorin Hélène Pelosse.
Der Autor ist Korrespondent
des "Handelsblatt" in Dubai.