Aus der Vogelperspektive betrachtet, sah man wenig vom Schrecken dieses Bauwerks. Auf der schwarz-weißen Luftaufnahme von Berlin von Anfang 1989 ist die Mauer eine schmale Linie, die sich östlich von Tiergarten und Reichstagsgebäude durch die Stadt schlängelt, auf einem kurzen Stück die Spree umrundet, bis man sie im Norden aus den Augen verliert. Öffentlich zugängliche Luftaufnahmen vom geteilten Berlin sind eine Seltenheit. (Auf dem Bild links: Luftaufnahme von Berlin aus dem Jahr 1989, an der Spree der Bahnhof Friedrichstraße, wo sich ein deutsch-deutscher Grenzübergang befand. Rechts eine Aufnahme von 1998 von Bauarbeiten rund ums Reichstagsgebäude.)
Erst nach der Wiedervereinigung wurde es einfacher, Berlin aus der Luft zu erkunden. Wie die beiden Stadthälften sich wieder annähern, bis man den ehemaligen Mauerverlauf kaum noch erkennt, zeigt die Ausstellung "Ein Land wächst zusammen" im Paul-Löbe-Haus mit großformatige Luftaufnahmen. Der Clou: Durch eine spezielle Brille betrachtet erscheinen die Stadtaufnahmen dreidimensional. Konzipiert wurde die Hauptstadtschau vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), einer staatlichen Forschungseinrichtung mit bundesweit 13 Standorten. Die Kamera, mit der die Bilder aufgenommen wurden, wurde ursprünglich für eine Mars-Mission entwickelt. Vom "Roten Planeten" nehmen mehrere Sensoren Farbbilder aus verschiedenen Winkeln auf. Die können dann später zu einem dreidimensionalen Relief der Oberfläche des Roten Planeten zusammengesetzt werden. Zwei Drittel der Marsoberfläche wurde mit der Kamera deutscher Wissenschaftler seit 2003 bereits erkundet. Im Oktober wurde beschlossen, die Mission "Mars Express" noch bis 2012 zu verlängern; solange wird die Kamera deutscher Wissenschaftler noch mindestens durch den Weltraum kreisen.
Doch mit der Hochleistungskamera lässt sich auch der Blaue Planet vermessen. "Es hat Jahre gedauert, bis wir diese Möglichkeiten erkannt haben", erklärte Ralf Jaumann (im Bild). Er ist Abteilungsleiter am DLR-Institut für Planetenforschung. Doch die Vermessung blieb nicht nur wissenschaftlicher Selbstzweck, erklärt Jaumann: "Besonders Mobilfunkunternehmen sind an Reliefbildern von den Städten interessiert, um die besten Standorte für ihre Funkmasten zu finden." Anfang des Jahrtausends wurden mit der DLR-Technik die meisten deutschen Großstädte vermessen. Auch über die deutsche Hauptstadt flogen die Kameras zwischen 1997 und 2009 jeweils alle zwei Jahre. Sie dokumentierten nicht nur die Spuren der "Wunde durch Berlin", wie DLR-Vorstandsvorsitzender Johann-Dietrich Wörner die Mauer nannte. Sie zeigten auch die "Heilung" der Stadt seit 1989. Und tatsächlich: Wäre auf der Aufnahme aus dem Jahr 2005 der ehemalige Verlauf der Mauer nicht eingezeichnet, würden ortsunkundige Betrachter ihn kaum noch finden.
Dass deutsche Forscher in der Kartografie schon seit langem eine führende Rolle einnehmen, dafür führte Jaumann den preußischen Wissenschaftler Alexander von Humboldt als Beispiel an. Dieser war bereits um 1800 aufgebrochen, um mit den damals modernsten Methoden Süd- und Nordamerika zu erforschen. "Die Vermessung der Welt ist eine deutsche Domäne", folgerte der Planetenforscher Ralf Jaumann daraus. Bundestagspräsident Norbert Lammert hatte in seiner Eröffnungsrede eine andere deutsche Geistesgröße zitiert: "Deutschland? Aber wo liegt es? Ich weiß das Land nicht zu finden", dichtete der vor 250 Jahren geborene Friedrich Schiller. Zu seiner Zeit war es die Kleinstaaterei, die das Heilige Römische Reich Deutscher Nation in unzählige Fürstentümer zersplitterte. Nach dem Zweiten Weltkrieg fand man dann zwei Staaten auf der Weltkarte mit dem Anspruch, Deutschland zu repräsentieren. Seit 1990 ist das Geschichte. Wie die ehemaligen Hälften der deutschen Hauptstadt seitdem aufeinander zugewachsen sind, zeigt die Ausstellung noch bis zum 21. Dezember 2009.