ausländische fachkräfte
800.000 zugewanderte Akademiker können ihren Beruf nicht ausüben
Juan Carlos Hernandez Mora ist Mathematik- und Informatiklehrer und Autor eines Lehrbuches. Als der heute 36-jährige Kubaner vor fünf Jahren nach Deutschland kam, hoffte er, auch in seiner neuen Heimat als Pädagoge arbeiten zu können. Für die benötigte Anerkennung reichte er Zeugnisse und Unterlagen ein, doch bescheinigt wurde ihm nur die Hochschulzugangsberechtigung.
Pädagogik müsse er noch einmal studieren, hieß es, ebenso Inhalte seiner Unterrichtsfächer, aber das entscheide man an der Universität. Doch ein erneutes Studium ist für den erfahrenen Lehrer mehr als ein finanzielles Problem. "Warum soll ich das alles ein zweites Mal studieren?", fragt Hernandez Mora gekränkt. Pech für ihn, dass er in Bayern lebt, wo Lehrern aus so genannten Drittstaaten, also Nicht-EU-Ländern, die Möglichkeit eines Anerkennungsverfahrens verwehrt ist. In einem anderen Bundesland hätte er vielleicht mehr Erfolg gehabt.
Eine komplizierte Rechtslage verhindert die Arbeitsmarktintegration von nach Deutschland zugewanderten Fachkräften. Grundlegend für die Anerkennung eines Berufes ist der Nachweis der Gleichwertigkeit mit dem entsprechenden deutschen Abschluss. Verglichen werden Ausbildungsinhalte und Dauer, die Berufspraxis spielt keine Rolle. Das ist beim Lehrerberuf schwierig, da in den meisten Ländern nur ein Unterrichtsfach studiert wird, in Deutschland aber zwei gefordert sind.
Wie bei Hernandez Mora hängt es häufig nicht von den Qualifikationen ab, ob ein Zuwanderer einen Antrag auf Anerkennung stellen kann und wie das Verfahren abläuft, sondern von seiner Migrantengruppe, Beruf und Wohnort. Während Spätaussiedler und EU-Bürger Rechtsanspruch auf das Verfahren haben, dürfen Drittstaatler dieses in einigen Bundesländern nicht einmal selbst beantragen.
Die meisten Zuwanderer, aber auch viele Arbeitsvermittler, blicken im Dickicht der Zuständigkeiten nicht mehr durch. Das bestätigt Katharina Koch vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), die die Anerkennungsverfahren für Lehrer, Ärzte und Ingenieure untersucht hat. "Die verschiedenen Stellen zur Anerkennung, Arbeitsmarktberatung und Anpassungsqualifizierung beraten meist nur im Rahmen ihrer eigenen Zuständigkeit. Dabei hat die linke Hand kaum Informationen darüber, was die rechte tut, so dass Zuwanderer häufig widersprüchliche Aussagen bekommen", kritisiert Koch. Auch angesichts der miserablen Aussichten geben viele vorher auf.
In Deutschland leben derzeit etwa 800.000 zugewanderte Akademiker, deren Abschlüsse nicht anerkannt werden. Entsprechend arbeiten 20,6 Prozent der Migranten mit ausländischen Hochschulabschlüssen in einfachen Beschäftigungsverhältnissen, jedoch nur 3,1 Prozent der deutschen Akademiker. Abgewertet wird die Qualifikation der Migranten zudem durch die Praxis der Arbeitsverwaltung. So werden Hochqualifizierte in Umschulungs- und Weiterbildungsmaßnahmen vermittelt, in denen sie Qualifikationen unterhalb ihres akademischen Niveaus erhalten. Bis vor Kurzem wurden sogar nicht anerkannte Ingenieure oder Ärzte bei der Arbeitsagentur als "Ungelernte" kategorisiert.
Das Problem ist seit Jahren bekannt. "Offensichtlich wurde der Mangel an hochqualifizierten Fachkräften lange unterschätzt", kommentiert die Grünen-Bundestagsabgeordnete Krista Sager. Das scheint sich nun zu ändern. "Wir können es uns nicht leisten, die Ressourcen und Qualifikationen, die Zuwanderer aus ihren Herkunftsländern mitbringen, brach liegen zu lassen", sagt SPD-Fraktionsvize Olaf Scholz und mahnt, Deutschland brauche gut qualifizierte Fachkräfte: "Es darf nicht sein, dass ein Ingenieur als Taxifahrer oder eine ausgebildete Ärztin als Putzfrau arbeiten muss, weil ihre Qualifikation bei uns nicht anerkannt wird." Auch Maria Böhmer (CDU), Integrationsbeauftragte des Bundes, sieht Handlungsbedarf: "Die Anerkennung von ausländischen Abschlüssen drängt."
Dem trägt der Koalitionsvertrag von CDU/CSU und FDP Rechnung, der einen gesetzlichen Anspruch auf ein Anerkennungsverfahren vorsieht und auf Eckpunkte zurückgreift, die Böhmer bereits im Juni vorgestellt hat. Vorgesehen ist zudem eine Erstanlaufstelle, um Informationen zu bündeln und die Verfahren zu vereinfachen. Beabsichtigt sind auch die Teilanerkennung sowie der Ausbau von Angeboten für Anpassungsqualifizierungen.
Wie reibungslos die berufliche Integration durch Brückenmaßnahmen verlaufen kann, zeigt das Beispiel der 35-jährigen Russlanddeutschen Irina Hafner. Die Internistin kam vor drei Jahren mit dem Vorsatz nach Deutschland, in ihrem mitgebrachten Beruf weiterzuarbeiten. Deshalb lehnte sie ab, als ihre Arbeitsvermittlerin sie als Pflegekraft in einem Altersheim unterbringen wollte.
Stattdessen bewarb sich Irina Hafner bei der Otto Benecke Stiftung, die als einzige Institution Qualifizierungsmaßnahmen für zugewanderte Akademiker anbietet. Sie erhielt einen der begehrten 20 Plätze in der 14-monatigen Maßnahme für Ärzte und büffelte zunächst "Arztdeutsch". Nach dem anschließenden Praktikum am Klinikum Rostock wurde sie auf die Kenntnisstandprüfung vorbereitet, die ihr die ersehnte unbefristete Berufserlaubnis bringen sollte.
Diese mündliche "Gleichheitsprüfung" in verschiedenen Fachbereichen wird bei der jeweiligen Ärztekammer abgelegt und ist für viele zugewanderte Ärzte eine unüberwindbare Hürde beim Eintritt in den Arztberuf. "Es war schwer, sich wieder in Themen einzuarbeiten, die ich vor zwölf Jahren im Studium gelernt hatte", erinnert sich Hafner. Doch sie bestand und konnte ihre Facharztausbildung in Schwerin fortsetzen.
So viel Glück haben nur die wenigsten, denn die Plätze bei der Otto Benecke Stiftung, die durch Bildungsgutscheine finanziert werden, sind begrenzt. "Warum nicht die, deren Ausbildung bereits im Ausland finanziert wurde, hier kurz für ein Jahr unterstützen, um sie dann dem Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stellen?", fragt Jutta Schnippering, die bei der Otto Benecke Stiftung das Akademikerprogramm für Mediziner betreut. Die im Koalitionsvertrag in Aussicht gestellten Anpassungsmaßnahmen könnten zugewanderten Akademikern die Integration ermöglichen.