GRUNDEINKOMMEN
In einem namibischen Dorf erhält seit Anfang 2008 jeder Bewohner monatlich 100 Namibia-Dollar. Mit durchaus positiven Folgen
Wer Zephania Kameeta das erste Mal begegnet, kann sich kaum vorstellen, dass dieser Mann besonders viel Energie hat. Der Bischof der "Evangelisch Lutherischen Kirche in der Republik Namibia" (ELCRN) wirkt freundlich, ruhig und bescheiden, sein Gang ist eher langsam. Auf seinem hellblauen Anzug prangt ein Fleck - er macht sich nicht viel aus Äußerlichkeiten.
Kameeta setzt mehr auf das Wort, und das beherrscht er mit Bravour. Der unscheinbare Gottesmann steht in der Mitte des namibischen Dorfs Otjivero und bringt seine Botschaft per Mikrofon über einen kleinen Gitarrenverstärker unter das Volk. Er redet an diesem Tag über ein Projekt, das ihm besonders am Herzen liegt: das Grundeinkommen. Otjivero ist für ihn ein Heimspiel. Denn die rund tausend Bewohner haben es vor allem Kameeta zu verdanken, dass sie zwei Jahre lang jeder monatlich hundert Namibia-Dollar (rund neun Euro) erhalten. Einfach so. Geschenkt.
In Otjivero findet seit Anfang 2008 ein einzigartiges Experiment statt - hier wird ausprobiert, was anderswo zwar diskutiert wird, aber letztlich doch graue Theorie bleibt. Mit dem "basic income grant" (BIG) in Otjivero wollen die namibischen Kirchen, Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen zeigen, dass dies der beste Weg ist, Hunger und Armut zu besiegen. Finanziert wird das Ganze unter anderem von der Vereinten Evangelischen Mission und "Brot für die Welt". Das Ziel der sogenannten BIG-Koalition: ein Grundeinkommen für jeden Namibier und damit mehr soziale Sicherheit. Denn zwei Drittel der namibischen Bevölkerung leben von weniger als einem US-Dollar am Tag.
Otjivero liegt im Nirgendwo, bis zur Hauptstadt Windhoek sind es hundert Kilometer. Das Land um das Dorf herum gehört weißen Farmern, die ihren Besitz mit Zäunen abgegrenzt haben. Einmal im Monat stellen sich die Bewohner jetzt zu einer langen Schlange auf, um ihr Grundeinkommen in Empfang zu nehmen. Anfängliche Befürchtungen, das Geld werde vor allem in den Kneipen von Otjivero vertrunken, haben sich nicht bestätigt. Das Dorf hat ein Komitee gewählt, das über die Verwendung des Geldsegens wacht - und sich so selbst diszipliniert.
Ein Streifzug durch die Hütten zeigt: Das Grundeinkommen wird hauptsächlich für Waren des täglichen Bedarfs ausgegeben: Maismehl, Öl, Zucker, Kleidung, Wellblech für ein neues Dach. "Die Bettelei hat so gut wie aufgehört", berichtet Dorflehrer Engelhard Gawaxab: "Das Grundeinkommen hat die Leute hier von der größten Not befreit."
Doch das ist längst nicht alles, was die BIG-Koalition erreichen will: Ihre größten Hoffnungen ruhen auf den "Investitionen" durch Dorfbewohner.
So hat der ehemalige Schuldirektor in der Siedlung einen kleinen Laden aufgemacht, andere verkaufen jetzt Brot oder Eis und schaffen sich Ziegen und Hühner an. "Das Grundeinkommen kann auch als Hilfe zur Selbsthilfe wirken und wirtschaftliche Aktivität auslösen", sagt der Deutsche Dirk Haarmann, der mit seiner Frau das Sozialreferat der ELCRN leitet. Die Bilanz des ersten Jahres kann sich sehen lassen: Der Anteil der unterernährten Kinder ging von 42 auf 17 Prozent zurück; die Beschäftigung stieg von 36 auf 48 Prozent. Deutlich zurück ging die Armutskriminalität - um mehr als 60 Prozent. Dennoch steht der Otjivero-Versuch klar im Gegensatz zu derzeit populären Glaubenssätzen der Entwicklungshilfe. Nach diesen darf den Armen auf keinen Fall durch Geldtransfers geholfen werden, die nicht an Bedingungen geknüpft sind. Mit dieser Begründung lehnt etwa der Internationale Währungsfonds das Otjivero-Projekt ab.
Auch die namibische Regierung hat bisher eher zögerlich auf Forderungen nach einem Grundeinkommen reagiert. Dabei reichen nach Ansicht der BIG-Koalition 2,2 bis 3,8 Prozent vom Bruttosozialprodukt, um die Armut in Namibia zu besiegen. Eine Größenordnung, die wohl verkraftbar wäre. Kein großer bürokratischer Aufwand, keine hohen Verteilungskosten. Wenn das Grundeinkommen in Namibia scheitert, dann wohl eher an grundsätzlichen Bedenken: "Unsere Regierung argumentiert wie die Farmer: Man gibt Leuten nur dann Geld, wenn sie arbeiten", sagt Bischof Kameeta.
Das Pilotprojekt in Otjivero läuft bis Ende des Jahres. Die Finanzierung der Grundeinkommen-Auszahlung für ein weiteres Jahr sei laut Dirk Haarmann kein Problem: "Wir haben mehr Geld eingesammelt als wir brauchen." Wie genau es weitergeht, werde mit der dort lebenden Gemeinschaft entschieden.
Der Autor ist freier Journalist in Berlin.