STREIKS
Bundesbildungsministerin Annette Schavan lädt Studierende zu Bologna-Gipfel im April ein
Jutta Limbach kommt nicht mehr zu Wort. Zu laut stören am 3. Dezember streikende Studenten an der Universität Göttingen durch Zwischenrufe und lautes Klatschen die Rede der früheren Richterin des Bundesverfassungsgerichts. In der Frankfurter Universität geht es noch handfester zur Sache. Dort räumt die Polizei am 2. Dezember das von Studenten besetzte Casino der Frankfurter Universität. Knapp 200 Studenten bringt sie aus dem Casino. Zuvor hatte die Hochschulleitung der Universität Strafanzeige wegen Sachbeschädigung und Hausfriedensbruchs erstattet. Die Studenten beeindruckt das nicht.
Auch in der vierten Woche protestieren sie weiter - gegen ein verschultes Bologna-Studiensystem, das sie einengt und kaum Zeit lässt für Nebenjobs, die viele wiederum dringend benötigen, um ihr Studium zu finanzieren. Und für mehr Mitsprache an den Hochschulen.
Erstmals zeigen die Proteste Wirkung. Die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) will mit den Studenten kooperien, sich gemeinsam mit ihnen für ein "qualitätsvolles Studium" einsetzen. Den Hochschulen hatte Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) zuvor vorgeworfen, hauptsächlich sie seien für die schlechte Umsetzung der Bologna-Reform verantwortlich, also die Umstellung von Diplom- und Magisterstudiengängen auf das Bachelor- und Mastersystem. Die Ministerin kündigte einen Bologna-Gipfel an: Am 12. April 2010 wolle sie mit Vertretern der Studierenden, der Hochschulrektorenkonferenz, der Kultusministerkonferenz und des Wissenschaftsrates über mögliche Nachbesserungen beraten. Bereits für den 16. Dezember hat Bundeskanzlerin Angela Merkel zu einem weiteren Bildungsgipfel ins Kanzleramt geladen.
Zwei Gipfel mit der Regierung und ein Runder Tisch mit der HRK - konkrete Nachbesserungen am Bologna-Prozess sind das noch nicht. Aber es sei ein erster Schritt, wie Sylvia Canel in der Aktuellen Stunde am 3. Dezember im Bundestag betonte. Die FDP-Politikerin warf der SPD-Fraktion vor, sie versuche "das Feuer des Streiks wieder anzufachen, um sich ihre alten Knochen daran zu wärmen". Schließlich habe die Bildungsministerin den Studenten bereits einen Dialog angeboten. Canel kritisierte auch die Studenten in Frankfurt: "Die jungen Akademiker hinterließen völlig zerstörte Räume. Damit haben sie das Geld derjenigen verbrannt, die Steuern zahlen, damit andere studieren können. Die Hörsäle gehören nicht in erster Linie den Studierenden", rief sie Nicole Gohlke von der Linksfraktion zu, "sondern den Steuerzahlern, die dafür auf Geld verzichten."
Gohlke hatte zuvor das Eingreifen der Polizei kritisiert. "Polizeigewalt gegen Proteste ist mit Demokratie an den Hochschulen absolut unvereinbar. Sie muss tabu sein", forderte Gohlke. Annette Schavan solle Stellung beziehen und dafür sorgen, dass die Anzeigen gegen die Studenten zurückgezogen würden.
Michael Gerdes von der SPD-Fraktion wollte über Grundsätzlicheres sprechen: "Es geht nicht nur um Bologna. Es geht tiefer." Bildung sei längst kein Randthema mehr, sie stehe seit Jahren im Mittelpunkt öffentlicher Debatten. "Nun frage ich mich, ob die vielen Reden über den hohen Stellenwert der Bildung mit der Realität übereinstimmen", sagte Gerdes. Den Hinweis von Sylvia Canel, dass die Zahl der "aktiven Protestler" vergleichsweise gering sei und nur eine "Minderheit von weniger als fünf Prozent aller immatrikulierten Studenten" protestiere, konterte er mit einem Vergleich:. "Ich will darauf hinweisen, dass auch die Studierenden nur ein Spiegelbild unserer Gesellschaft sind. Wenn ich mir die Beteiligung in diesem Hohen Hause anschaue, dann stelle ich fest, dass nicht alle Bundestagsabgeordneten bei jedem Thema anwesend sind." Daher solle man nicht an der Anzahl der Studierenden die Qualität des Protestes ablesen. Er forderte, die Mahnung der Hochschulen, die eine "chronische Unterfinanzierung" beklagten, ernst zu nehmen.
Der hochschulpolitische Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Kai Gehring, rief die Regierung dazu auf, "keine Subventionen deutscher Hotelbetten" zu finanzieren und "keine Steuergeschenke an Besserverdienende" zu machen. "Mit dem Geld, das Sie den Ländern entziehen, könnten Sie bundesweit 300.000 Studienplätze schaffen." Schavan kritisierte den "Gestus der Selbstverständlichkeit", den sie unter anderem in der Rede von Kai Gehring gehört habe. Sie frage sich angesichts des Zeitplans zur Umsetzung des Bologna-Reform-Vetrags unwillkürlich: "Was ist eigentlich zwischen 1999, als Frau Bulmahn den Vertrag unterschrieben hat, und dem Jahr 2005 in der Phase der Einführung, in den ersten sechs Jahren, geschehen?" Die rot-grüne Regierung habe keine Unterstützung für "die Weiterentwicklung des Wissenschaftssystems, für die Schaffung neuer Studienplätze" geleistet.