Am 27. September 2009 ging für Stefan Kaufmann ein langer Weg zu Ende. Mehr als 1.000 Wahlkampftermine hatte er absolviert: vormittags auf dem Marktplatz, nachmittags bei Kaffeestunden und abends in Diskussionsrunden, bis er am Wahlabend seinen Sieg im Stuttgarter Wahlkreis I bejubeln konnte. 34,4 Prozent hatte der Christdemokrat erreicht. Knapp fünf Prozent mehr als der Vorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Cem Özdemir, und 16 Prozent mehr als die frühere SPD-Landesvorsitzende Ute Vogt. Nach der Kommunalwahlniederlage am 7. Juni, die die CDU "bis ins Mark" getroffen hatte, hat Kaufmann eine erneute Schlappe verhindert.
"Für mich kam der Erfolg nicht überraschend", meint der promovierte Jurist, der in Tübingen und Leiden (Niederlande) studierte. Sein Bauchgefühl habe ihm stets einen knappen Sieg vorausgesagt, "auch wenn viele da ihre Zweifel hatten". Von ungefähr kam der Sieg jedoch nicht. Der in Stuttgart geborene und wohnende Kaufmann bekämpfte den Prominentenbonus von Özdemir und Vogt, die er als "Mandatstouristen" bezeichnete, mit verstärktem Engagement vor Ort. Bereits im Juni 2008 wurde er von der CDU als Nachfolger des verstorbenen Bundestagsabgeordneten Jo Krummacher nominiert, "und dann begann für mich direkt der Wahlkampf".
Ein Wahlkampf, den er als "interessant" bezeichnet, und den er im urbanen und durch einen hohen Migrantenanteil geprägten Stuttgarter Süden und im bürgerlichen Westen letztlich wohl auch deshalb für sich entscheiden konnte, weil er sich liberaler, moderner und jugendlicher als der Durchschnitt seiner Partei gab: Auf dem Christopher Street Day ließ der bekennende Homosexuelle Wassereis mit dem Spruch "schwul ist cool" verteilen, in Cafés in der Stuttgarter Innenstadt trugen Kellner Hemden mit der Aufschrift "ich trage ein Hemd für Dr. Stefan Kaufmann" und in den örtlichen Kinos lief ein Wahlwerbespot im Stil der Sendung mit der Maus. Zudem erwies er sich als überaus internetaffin: Bei Facebook kann man sich Bilder seiner Familie ansehen; bei Twitter informiert er regelmäßig über politische und private Aktivitäten. Diese Modernität, die ihm jetzt den Erfolg sicherte, stand allerdings auch lange Zeit einem parteipolitischen Engagement im Weg: "Mit Helmut Kohl hatte ich anfänglich ein Problem", bekennt der 40-jährige Kaufmann, "zudem habe ich die stramm konservative Einstellung von Teilen der damaligen Jungen Union als unangenehm empfunden".
Über die Konrad-Adenauer-Stiftung, deren Stipendiat er war, und eine Station bei Doris Pack, der bildungspolitischen Sprecherin der EVP-Fraktion im Europäischen Parlament, habe er andere CDU-Mitglieder kennengelernt und seine Nähe zur Partei entdeckt. Politisch in einem allgemeineren Sinne sei er jedoch schon immer gewesen, betont er, ob als Schülersprecher seines Gymnasiums in Stuttgart-Weilimdorf oder als Gründer des Forums für Hochschul- und Bildungspolitik an der Uni Tübingen. "Mir war nie egal, was um mich herum passiert." Und gerade in der Bildungspolitik, seinem politischen Hauptanliegen, hat der Verfechter des dreigliedrigen Schulsystems festgestellt, dass "Menschen gleiche Chancen brauchen, jedoch auch unterschiedliche Begabungen mitbringen. Und das basiert letztendlich auf dem christlichen Menschenbild der CDU." Aus diesem Grund trat er schließlich 1997 der Partei bei.
In den kommenden vier Jahren wird Kaufmann, der über europäisches Bildungsrecht promovierte, wunschgemäß Mitglied des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung sein. Hier will der passionierte Orgelspieler und Liebhaber klassischer Musik erst einmal die parlamentarischen Prozesse beobachten, "um dann zu gegebener Zeit Akzente zu setzen". Diese aufmerksame Offenheit der Zukunft gegenüber scheint charakteristisch für ihn: "Ursprünglich wäre ich am liebsten Dirigent geworden, habe den Gedanken dann aber verworfen." Letztlich könne man sich in vielen Bereichen arrangieren, "aber wenn ich etwas mache, dann richtig". Das sei das Entscheidende. So engagiert, wie er das sagt, glaubt man es Kaufmann sofort.