Medienwelt
Über Rufmord in der Presse, verletzte Persönlichkeitsrechte und die Opfer
Keine Frage: Die Mechanismen, nach denen Einzelpersonen via Massenmedien diffamiert, gar in den Ruin getrieben werden, schreien geradezu nach einer eingehenden Analyse. Nicht selten gibt es Rufmordopfer, die selbst nach einem Unschuldsbeweis für ewig an den ihnen zur Last gelegten Vorwürfe zu leiden haben. Denn: Hängen bleibt immer was.
Gut also, dass die Herausgeber von "Rufmord und Medienopfer", der Rechtsanwalt Christian Schertz und der Journalist Thomas Schuler, eine ganze Reihe von Fällen zusammengetragen haben, in denen das Phänomen unter die Lupe genommen wird. Doch obwohl es eine Einführung und eine Schlussbetrachtung der Herausgeber gibt - eine systematische Herangehensweise leistet das Buch nicht. Die Auswahl der Themen verdeutlicht vielmehr, wie vielfältig der Rufmord in seinen Facetten ist. Wer eine stringente Analyse verschmerzen und sich mit dem Lesebuch-Charakter anfreunden kann, für den hält der Band einige sehr gute Beiträge bereit.
Dazu zählt "Rufmord an einem Polizisten" von Dominik Höch. Der Journalist und Rechtsanwalt zeichnet den Fall eines Mannes nach, gegen den, weil er zur falschen Zeit am falschen Ort war, als Serienexhibitionist ermittelt wurde und den eine Boulevardzeitung an den Pranger stellte. Die örtliche Lokalzeitung zog mit eigener Berichterstattung nach, als ob die Schuld des Polizisten bereits bewiesen wäre.
Ebenso gut recherchiert und aufgeschrieben ist der Beitrag von Sabine Sasse, die den Prozess gegen den TV-Moderator Andreas Türck aufgearbeitet hat. Gleich der erste Satz liest sich wie eine Bilanz des Falles: "Am Ende gab es nur Verlierer." Türck war 2005 angeklagt worden, eine junge Frau vergewaltigt zu haben. Als die Vorwürfe bekannt wurden, starteten diverse Medien, allen voran die "Bild"-Zeitung, einen "Diffamierungsfeldzug" (Sasse) gegen Türck. Die Vergewaltigung hatte jedoch nie stattgefunden.
Weitere Beispiele liefern Autoren anhand der Geschichten des Waffen-SS-Geständnisses von Günter Grass, des Sex-und-Drogen-Skandals um Michel Friedman und der Stasi-Vorwürfe gegen die Schauspielerin Jenny Gröllmann. Die Medien spielen in diesen Fällen unterschiedliche Rollen. Einmal inszenieren sie wie im Fall von Grass einen Art Prozess in Eigenregie, andere Male werden sie von interessierter Seite instrumentalisiert, manchmal greifen sie auch nur, berauscht von der Aussicht auf hohe Auflagen oder steigende Quoten, fahrlässig ungeprüfte Informationen auf, deren wahre Hintergründe sie nicht aufdecken und vermutlich auch gar nicht interessieren. "Das Einfachs-te wäre, Journalisten würden Gerüchte totrecherchieren", schreiben die Herausgeber in ihrer Einleitung.
Andere Beiträge thematisieren Grenzbereiche des klassischen Rufmords: So stellt Andreas Förster dar, wie die Fälle Michel Friedmans und Manfred Kanthers zu großen Skandalen wurden, deren eigentliche Geschichten, Zwangsprostitution und schwarze Kassen der CDU, aber in den Hintergrund traten. Um Rufmord geht es in beiden Fällen nicht.
Dem Rufmord in der Literatur werden gleich zwei Beiträge gewidmet - einer zu viel. Und Thomas Leifs Kritik an der Institution des Presserates ist zwar inhaltlich fundiert, geht aber weit über das eigentliche Thema des Buches hinaus und liest sich eher wie eine Generalabrechnung mit dem zahnlosen Kontrollgremium.
Eine Schwäche des Buches: Immer wieder ist es die größte deutsche Boulevardzeitung "Bild", die in den Beiträgen als Instrument des Rufmords dargestellt wird. Doch statt einen oder zwei Fälle detailliert in seinen Verfehlungen seitens der Springer-Blatts offenzulegen, kritisiert ein eigener Beitrag über "Bild" sogar, dass es dem Blatt "mühelos" gelinge, Bücher auf Bestsellerlisten zu hieven. Angesichts des Buchthemas kann man da nur sagen: Na und? Wünschenswert wären noch mehr Beispiele von Fehltritten anderer Medien gewesen. Wo bleiben die Verfehlungen von "Spiegel", "Stern" und "Focus", wo ist eine Analyse der Praktiken der deutschen Regenbogenpresse?
Eine weitere Leerstelle: Kein Artikel befasst sich eingehend mit Persönlichkeitsverletzungen im Internet. Dabei wird im Netz schon heute in viel erheblicherem Maße üble Nachrede geübt als in Print- oder TV-Medien. Vor allem, weil entsprechende Kontrollinstanzen fehlen.
Die im Klappentext versprochenen praktischen Hinweise, wie mit Rumord umzugehen ist, kommen etwas zu kurz. Neben der Klärung grundlegender Rechte ist der wichtigste Hinweis des Bandes, sich juristischen Beistand zu suchen, falls man selbst Opfer eines Rufmordes wird. Das wirft einen Aspekt auf, der nicht unter den Tisch fallen sollte: Die Kanzlei des Mitherausgebers Christian Schertz hat bereits eine ganze Reihe von Medienopfern verteidigt. Insofern ist das Buch auch als Werbung in eigener Sache zu verstehen. Das ist einerseits legitim. Andererseits thematisiert ein Beitrag in dem Buch selbst eine Grauzone des Gewerbes: So berichtet der "Zeit"-Redakteur Roland Kirbach in seinem Artikel "Zum Abschuss freigegeben", wie der Moderator Oliver Pocher einst in der Sendung "Wetten, dass…" eine Frau beleidigte. Die Frau klagte auf Schmerzensgeld. Pochers Anwalt ist Christian Schertz. Dessen Grundsatz lautet: Wer sich freiwillig in die Medien begibt, kann kein Medienopfer sein. Dass allerdings könnte im Sinne einer differenzierten Diskussion etwas kurz gedacht sein.
Rufmord und Medienopfer. Die Verletzung der persönlichen Ehre.
Ch. Links Verlag, Berlin 2007; 271 S., 19,90 ¤