UNTERSUCHUNGSAUSSCHUSS
Steinmeier bestreitet erneut Wissen über CIA-Flüge
Grober Unfug": Im Fernsehen machen sich knallige Formulierungen gut, und so landet Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) im Pulk der Kameras gleich zum Auftakt einen verbalen Paukenschlag. Nichts, gar nichts dran sei an dem Vorwurf der Opposition, die rotgrüne Regierung sei in die "Renditions" der USA involviert gewesen, also in die Entführung Terrorverdächtiger und deren Transport bei getarnten Flügen in unter Folterverdacht stehende Geheimgefängnisse in diversen Ländern: Um eine deutsche Mitwirkung an diesen Praktiken zu konstruieren, "muss man die Tatsachen schon sehr verdrehen", ruft der Außenminister aus, der unter Kanzler Gerhard Schröder Leiter der Regierungszentrale war. Diese Linie verfolgt Steinmeier auch im Untersuchungsausschuss: Die Renditions seien rechtsstaatswidrig, man kritisiere dies, man habe damit aber nichts zu tun, ja, man habe davon viele Jahre nicht einmal gewusst.
Der Minister tritt bereits zum vierten Mal als Zeuge auf. An diesem Tag ist der Medienrummel besonders groß, was damit zu tun haben dürfte, dass die SPD-Kanzlerkandidatur auf Steinmeier zuzulaufen scheint. Da ist es wichtig, dass das Ansehen keinen Kratzer bekommt - erst recht nicht durch einen Untersuchungsausschuss. Und so müht sich der einstige Kanzleramtschef, das Bild des souveränen Politikers zu vermitteln, der sich durch bohrende Fragen nicht aus der Ruhe bringen lässt.
Steinmeier führt aus, er sei erst im Januar 2005 durch Berichte in US-Medien auf die Renditions aufmerksam geworden. Bis dahin habe man sich solche Praktiken nicht vorstellen können: "Wir gingen nicht davon aus, dass eine alte Demokratie wie die USA sich bei der Wahl der Mittel planmäßig vergreift." Man solle doch nicht so tun, meint der Minister, dass alle heutigen Informationen bereits nach den Anschlägen des 11. September 2001 vorgelegen hätten. Im Grunde habe erst im Herbst 2006 US-Präsident George W. Bush Klarheit über die CIA-Flüge geschaffen. Gleichwohl habe er sofort nach seinem Amtsantritt als Außenminister im Herbst 2005 bei US-Kollegin Condoleeza Rice interveniert und betont, dass Verschleppungen, Folter und Geheimgefängnisse nach deutschem Recht inakzeptabel seien.
Oppositionsabgeordnete wie etwa Max Stadler (FDP), aber auch CDU-Obmann Hermann Gröhe aus dem Koalitionslager verweisen Steinmeier jedoch auf Presseberichte, welche die Renditions schon vor 2005 problematisiert hätten. Stadler hat einen Artikel aus 2002 mit Fotos zur Hand, die gefesselte Terrorverdächtige mit Kapuzen über den Köpfen zeigen. Der Minister kann sich nicht an alle Medienberichte erinnern. Im Übrigen habe man seinerzeit einzelne Veröffentlichungen nicht als Beleg für eine organisierte Form geheimer CIA-Flüge einordnen können, die Puzzles hätten erst später ein Gesamtbild ergeben. Und generell, insistiert Steinmeier, habe sich das Kanzleramt damals auf die Abwehr von Terrorgefahren und nicht auf die rechtsstaatliche Kontrolle der USA konzentriert: "Ich war nicht Inspektor Columbo im Einsatz gegen die Amerikaner."
Allerdings sehen Stadler, Norman Paech von der Linkspartei und Hans-Christian Ströbele (Grüne) im Fall des Ende September 2001 in Sarajewo von US-Militärs irrtümlich unter Terrorverdacht verhafteten Deutsch-Ägypters Abdel Halim Khafagy einen Beleg, dass die deutsche Regierung sehr frühzeitig über Misshandlungen von Gefangenen in US-Gewahrsam unterrichtet war. Zwei nach Bosnien entsandte BKA-Beamte hatten eine Befragung des Münchners abgelehnt, weil der alte Mann bei der Festnahme schwer verletzt und unter rechtsstaatswidrigen Umständen wie etwa Schlafentzug inhaftiert worden war. Ein Bericht der Polizisten über diese Vorgänge war für die Sicherheitsrunden im Kanzleramt gedacht.
Steinmeier erläutert hingegen, dass das Schicksal Khafagys, dem "gravierendes Unrecht" geschehen sei, in den Lagebesprechungen Ende September/Anfang Oktober 2001 nicht thematisiert worden sei. Dieser Fall, der nicht als Rendition gelten könne, sei nur deshalb kurzfristig von Interesse gewesen, weil als Begleiter des Ägypters ein hochrangiger Al-Qaida-Aktivist vermutet worden sei, was sich dann als Irrtum herausgestellt habe. Vor dem Auftritt des Ministers bestätigt BKA-Vizepräsident Bernhard Falk, er habe seinerzeit als Teilnehmer der Sicherheitsrunden im Kanzleramt Khafagys Inhaftierung nicht angesprochen. Mit Genugtuung verweist Steinmeier auf die Vernehmung des Ex-Datenschutzbeauftragten Joachim Jacob, den der Ausschuss als Sonderermittler zur Aufklärung der CIA-Flüge eingesetzt und der einen geheimgehaltenen Bericht erarbeitet hat.
Unter den vermutlich mehreren hundert Vorgängen dieser Art konnte Jacob nach seinen Angaben nur zwei ermitteln, bei denen die CIA deutschen Luftraum zum Gefangenentransport nutzte und von denen die hiesige Regierung erst Jahre später erfahren habe: Im Dezember 2001 wurden zwei Terrorverdächtige von Stockholm nach Kairo ohne Zwischenlandung auf deutschem Boden geschafft, und 2003 wurde der von CIA-Agenten in Mailand gekidnappte Ägypter Abu Omar über Ramstein an den Nil geflogen. Dann gibt es noch die mysteriöse Geschichte, wonach in einer Mannheimer US-Kaserne ausländische Gefangene misshandelt worden sein sollen: Aus Sicht Jacobs hat aber die Bundesanwaltschaft ihre Ermittlungen zu Recht eingestellt, weil sich ein Verdacht nicht habe erhärten lassen - was Oppositionsabgeordnete anzweifeln.
Eines hebt Jacob hervor: Er habe sich mangels Zugang zu US-Informationen nur auf ein begrenztes Datenmaterial stützen können. Letztlich seien die CIA-Flüge "ein Buch mit sieben Siegeln, das nur die USA öffnen können". In diesem Sinne argumentiert auch Steinmeier. Es habe ihn "irritiert", dass Rice im Frühjahr 2008 eingeräumt habe, über eine britische Insel seien Renditions abgewickelt worden. Er habe dann von Rice wissen wollen, ob auch in Deutschland weitere Gefangenentransporte stattfanden. Eine Antwort liege noch nicht vor. Von den USA seien klare Auskünfte zu den CIA-Flügen ohnehin nur schwer zu erhalten, meint der Zeuge. Jedenfalls habe ihm Rice zugesichert, die deutsche Souveränität zu achten.
Aber reicht Vertrauen in solche Zusagen aus? Jacob plädiert für stichprobenartige Kontrollen von US-Flügen in Deutschland. Die Schweiz habe die generelle Überfluggenehmigung für US-Regierungsflüge aufgehoben und prüfe nun von Fall zu Fall, was Paech als positives Beispiel lobt. Auch Ströbele verlangt Kontrollen für US-Flüge. Stadler kritisiert, das US-Hauptquartier Eucom in Stuttgart koordiniere internationale Renditions, was deutschem Recht widerspreche.
Möglicherweise kommt beim Thema Flugkontrolle etwas in Bewegung. Er wolle sehen, was sich machen lasse, sagt Steinmeier. Zu Stadlers Vorstoß in Sachen Eucom meint er: "Sie geben mir Gelegenheit, darüber nachzudenken."