altmetall
Seitdem die Stahlhütten kurzarbeiten, bleiben Recyclingfirmen und Händler auf dem Material sitzen
Ausgediente Öfen, alte Heizkörper und Badewannen, kaputte Küchenherde und Waschmaschinen, verrostete Gartenmöbel: Yusuf Alsancak hat ein Herz für Schrott, der sich in deutschen Haushalten findet. Auch auf Baustellen leuchten seine Augen auf, wenn dort Eisenträger oder Stahlbetonmatten überflüssig sind. Denn sie bringen Geld ein. Doch seit Beginn dieses Jahres plagen Alsancak Sorgen: Die Schrottpreise sind drastisch gefallen.
Vor einem Jahr ist der ehemalige Lkw-Fahrer und Kioskbetreiber ins Geschäft mit Altmetall eingestiegen. Da waren die Preise noch hoch, regelmäßig wurden Rekorde gemeldet. Ganoven nutzten die Gunst der Stunde, klauten Gullydeckel und ganze Eisenbahngleise. Auf solche "Konkurrenz" ist Alsancak noch heute sauer und schimpft auf die Händler, "die so was ohne Prüfung ankaufen". Bei ihm ist alles sauber. Damit er nicht in Verdacht gerät, trägt er jeden Kauf genau in eine kleine Kladde ein, die er stolz vorzeigt: "Adresse, Telefonnummer, da kann jeder nachfragen." Auf Anruf kommt er und holt ab, was nicht gebraucht wird. Zwei Lastwagen hat er - einer davon mit einer sechs Meter langen Ladefläche und Hebebühne - und ein Lager. Doch das ist fast leer. Nicht nur, weil er seine Ankäufe möglichst schnell weiterverkauft, sondern vor allem, weil der Nachschub fehlt. Sinkende Preise verringern auch das Angebot.
Als Alsancak mit seinem Geschäft begann, gab es beim Großhändler für eine Tonne Eisenträger 400 Euro, heute nur noch 120. Für eine Tonne Mischschrott lag der Preis bei 330 Euro, jetzt bei 65. Dafür muss Alsancak etwa 20 Waschmaschinen zusammenbringen. "Seit ein paar Wochen bin ich im Minus", klagt er, will aber durchhalten. "Es muss ja auch mal wieder besser werden."
Mit Alsancak stöhnt der gesamte Schrotthandel. "Die Lage ist dramatisch", sagt Ulrich Leunig, Geschäftsführer der Bundesvereinigung Deutscher Stahlrecycling- und Entsorgungsunternehmen (BDSV). Auf der Strecke bleiben werden vor allem kleine und mittlere Schrotthändler, solche, die keine weitgefächerten Geschäftsbeziehungen haben, und solche, die im Boom keine Reserven bilden konnten.
Schlechte Aussichten also für die "Alträuscher", "Klüngelkerle" oder "Lumpensammler", von denen es in Deutschland schätzungsweise rund 1.000 gibt. Sie stehen am Anfang der Recycling-Kette. Nur die größeren Unternehmen haben sich im BDSV organisiert. Er zählt rund 600 Mitgliedsfirmen, die zusammen 35.000 Mitarbeiter beschäftigen und etwa 10 Milliarden Euro umsetzen. Über die vielen kleinen und mittleren Sammel-, Sortier- und Bearbeitungsfirmen setzt sich die Kette fort bis zu den zwei Dutzend Großen, die direkt an Stahlhütten und Gießereien im In- und Ausland liefern. Noch ist diese Branche relativ vielfältig, die drei Größten teilen sich etwa 40 Prozent des Marktes.
Christoph Bauer hat einen der kleinen Betriebe. Er ist überzeugt, dass seine Broicher Pressbetrieb GmbH heil durch die Krise kommt. "Wir sind ein Familienbetrieb. Vier Leute arbeiten hier, da kann man auch schon mal einen mitschleppen, wenn es mal nicht so gut läuft", sagt der Kölner. Aber gut laufen? Das tut es derzeit wahrlich nicht. "Die Luxemburger bestellen nichts mehr, und auch im Inland sieht's schlecht aus." Auf 20 Prozent sei der Absatz gesunken. "Die Luxemburger" nennt Bauer die Aufkäufer des Stahlweltmarktführers Arcelor-Mittal wegen ihres früheren Firmensitzes im Herzogtum.
Da ist es ein schwacher Trost, dass auch seine Lieferanten weniger Industrieschrott produzieren. So wachsen wenigstens die Halden auf seinem Gelände nahe dem "Niehler Hafen" in Köln nicht allzu sehr. Die Spezialität der Broicher Pressbetrieb GmbH ist es, den Schrott zu handlichen Würfeln zu pressen, die bei einer Kantenlänge von 30 Zentimetern bis zu stolzen 70 Kilo wiegen können. Autowracks werden hier nicht verarbeitet, auch keine Kühlschränke: "Das ist mit zu viel Formularen und Auflagen verbunden."
Ansonsten wird aber genommen, was kommt. Gerade fährt ein Kombi auf die Autowaage, der Anhänger ist beladen mit alten Fahrradrahmen und Fahrradteilen, obenauf glänzt ein Edelstahl-Spülbecken in der Aprilsonne. Der Hausmeister einer Schule hat die Räume der Fahrrad-AG entrümpelt. Nach dem ersten Wiegen umkurvt er die Schrotthalden und wirft seine Ladung auf den Haufen, wo schon "viel Kleinzeug" liegt, wie ihm Bauer gesagt hat. Dann wieder Wiegen mit leerem Anhänger. 240 Kilo. Dafür gibt es dann - gegen Vorlage des Personalausweises - zehn Euro.
Die deutsche Schrottwirtschaft durchlebt eine Achterbahn der Gefühle. Konnte sie die Tonne Stahlneuschrott - die gängigste Sorte, frei von Verschmutzungen und als Rohstoff aufbereitet - im Juni des Vorjahres noch für mehr als 425 Euro verkaufen, stürzte der Preis zum Februar 2009 auf rund 220 Euro ab. Edelstahlschrott wurde sogar schon einmal für weit über 1.000 Euro je Tonne gehandelt. Entsprechend gesunken sind jetzt auch die Einkaufspreise. Grund ist die weltweit eingebrochene Nachfrage nach Stahl.
Schrott ist für die Produktion von Stahl fast so wichtig wie Eisenerz. Rund 40 Prozent des weltweit produzierten Stahls wird durch Einschmelzen von Schrott in Elektrohochöfen gewonnen. In Europa sind es sogar 56 Prozent. Allein die EU verbrauchte in den vergangenen Jahren im Schnitt 118 Millionen Tonnen Schrott. Die Produktion der Stahlhütten ist in den vergangenen Monaten aber eingebrochen. Die deutschen Stahlwerke drosselten ihre Schrottbezüge im Januar um fast 42 Prozent gegenüber der Menge von Januar 2008.
Was "Klüngelkerle" und "Lumpensammler" in ihrem kleinteiligen Geschäft spüren, erfährt damit auch der internationale Schrotthandel: Die Betriebe werden Altmaterial nicht mehr los. Europas größter Schrottplatz ist der Duisburger Hafen, wo es eine "Schrottinsel" gibt. Hier türmen sich die Schrottberge ebenso wie in chinesischen Häfen.
Der Kölner Rohstoffkonzern Interseroh gehört zu den Großen im Geschäft und rangiert nach eigenen Angaben an dritter Stelle auf dem deutschen Stahl- und Metallrecyclingmarkt. Durch die weltweit 120 Standorte kann das Unternehmen flexibel auf Preisschwankungen reagieren. "Wenn irgendwo die Nachfrage steigt, können wir uns untereinander koordinieren und die Mengen gezielt bündeln", sagt Sprecherin Verena Köttker. Denn gerade der Schrotthandel sei regional sehr zersplittert. Immerhin trug der Handel mit Metallschrott im Jahr 2008 gut 1,6 Milliarden Euro zum Interseroh-Gesamtumsatz von rund 2 Milliarden Euro bei. Insgesamt 3,3 Millionen Tonnen wurden gehandelt. Dennoch hat das Unternehmen aufgrund der weltweiten Wirtschaftskrise derzeit rund 380 Beschäftigte in Kurzarbeit geschickt.
Interseroh spricht von positiven Impulsen der Abwrackprämie für Altautos auf den Recyclinghandel - und ist damit wohl eine Ausnahme. Dies gelte insbesondere für das Ausschlachten der Autos, sagt Verena Köttker. So könne allein die Interseroh-Tochter Jade-Stahl an ihrem Standort in Rostock jetzt in einer Woche 1.500 Wagen "verwerten", so viele wie sonst in einem Monat. "Was wir ankaufen ist im Regelfall bereits 1:1 durch Kontrakte verkauft", sagt Köttker. "Lagerhaltung mit der Hoffnung auf steigende Preise ist zu riskant."
Anders als bei Interseroh türmen sich andernorts die aus dem Verkehr gezogenen Rostlauben zu Schrottbergen. Die Umweltprämie hat zwar das Geschäft mit Kleinwagen auf Touren gebracht und sorgt auch für viel Arbeit bei Demontagebetrieben von Altfahrzeugen und Schrottpressen. Das Altmetall fließt aber nicht mehr ab, seit Stahl- und Metallhütten kurzarbeiten. Wurde den Autohaltern 2008 noch ihr ausrangiertes Schmuckstück aus den Händen gerissen, müssen sie heute mancherorts 100 Euro und mehr zahlen, damit sie ihr Fahrzeug überhaupt verschrotten lassen können.
Bei dieser Absatzlage ist der Schrotthandel schnell mit Forderungen an die Politik bei der Hand. Eine Mehrwertsteuerspreizung könnte aus Sicht des Branchenverbands BDSV "ein sinnvolles ökonomisches Lenkungsinstrument sein". Eine Ermäßigung sollte für Produkte und Dienstleistungen gewährt werden, die einen ökologischen oder sozialen Effekt haben - wie das Metallrecycling.
Jürgen Schön ist freier Journalist in Köln.