EUROPAWAHL
Die Parteien kämpfen nicht nur um Stimmen, sondern auch gegen die Unlust an Europa. Zwei Momentaufnahmen
Der Mann ganz vorne gibt das Signal: "Los!". Sofort setzt sich der kleine Trupp in Bewegung. Männer in schwarzen Anzügen. Ganz vorne, das ist Horst Seehofer.
Gleich dahinter folgt ihm der konservative Abgeordnete Manfred Weber (CSU), der in Brüssel der EVP-Fraktion angehört. Weber ist seit fünf Jahren Abgeordneter im Europäischen Parlament und seit 2008 Bezirksvorsitzender der CSU Niederbayern. Ein paar Stunden zuvor hat er die Granden der Partei in seinem Heimatbezirk begrüßt: "Mit breiter Brust gehen wir die kommenden Aufgaben an, wir müssen uns nicht mehr verstecken", rief er in die volle Deggendorfer Stadthalle.
Hier läutet die CSU die heiße Phase des Europawahlkampfs ein. Theo Waigel, Edmund Stoiber, Bundeswirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg, Generalsekretär Alexander Dobrindt und die Kandidaten für die Europawahl mit dem Schwaben Markus Ferber an der Spitze: Alle sind sie in das kleine Städtchen an der Donau gekommen. Gastgeber Weber ist zufrieden, die Partei verabschiedete das Programm für die Wahl am 7. Juni einstimmig. Nur am Schluss, beim Abspielen der Bayerischen Hymne, versagt die Technik. Doch die anwesenden Parteimitglieder helfen stimmkräftig aus.
Horst Seehofer legt ein ordentliches Tempo vor. Er ist in wichtiger und schwieriger Mission unterwegs. Die CSU zurück zu alter Stärke führen, erste Etappe: Europa nach Niederbayern bringen. Flotten Schrittes geht es über den Deggendorfer Stadtplatz. "Es macht wieder Spaß, auf die Marktplätze zu gehen, weil man nicht mehr beschimpft wird, wie vor einem Jahr", sagt Seehofer. Die Begeisterung der Passanten hält sich allerdings in Grenzen. Am Straßenrand bleiben einige stehen, blicken kurz auf: "Ah, der!" Es klingt nicht unfreundlich. Immerhin.
Seehofer und seine Mannschaft stehen mit der Europawahl vor einer großen Hürde. Es ist lange nicht sicher, dass die CSU bundesweit die nötigen fünf Prozent erreicht. Ein Scheitern wäre desaströs und für die Bundestagswahl eine schwere Hypothek. Im Moment sitzen neun CSU-Abgeordnete im Europäischen Parlament. So viele sollen es wieder werden, mindestens.
Doch schon die Aufstellung der Kandidatenliste verlief nicht ganz reibungslos. Strauß-Tochter Monika Hohlmeier setzte sich erst in einer Kampfabstimmung um Platz sechs durch. Vor allem die Wahlbeteiligung macht der CSU Sorgen, sogar mehr als den anderen Parteien. Für die Europawahl sind die Menschen auf dem Land, die CSU-Stammwählerschaft,besonders schwer zu motivieren. Und dann treten auch noch zum ersten Mal die Freien Wähler an, mit einer Bundesliste, angeführt von der ehemaligen CSU-Rebellin Gabriele Pauli. "Die sind unser Hauptgegner", sagt Manfred Weber. Denn die Themen von Freien Wählern und CSU für die Europawahl sind in Niederbayern gar nicht so verschieden: Förderung für Landwirte, Lebensmittelpreise, direkte Demokratie, Bürgerbeteiligung. Gerade wegen dieser inhaltlichen Überschneidungen konnten die Freien Wähler bei den vergangenen Landtagswahlen der CSU viele Stimmen abnehmen.
Markus Ferber fordert deshalb vollen Einsatz: "Wir müssen Bayern umpflügen, jeden Stein umdrehen und schauen, ob da ein CSU-Wähler drunter ist," ruft er seiner Partei zu. Auch die Freien Wähler sehen in der Mobilisierung ihrer Anhänger die größte Herausforderung. "Aber weil wir antreten, werden viele von den Parteien enttäuschte Bürger zur Wahl gehen, die sonst zu Hause bleiben würden", glaubt Max Winkler aus Simbach am Inn, der für die Freien Wähler auf Platz fünf der Liste antritt. "Fünf bis 15 Prozent sind möglich." Manfred Weber hält dagegen: "Eine Stimme für die Freien Wähler ist eine verschenkte Stimme für Bayern. Denn die haben keine Chance, die fünf Prozent zu erreichen." Blau-weiß ist das Wetter, blau-weiß, so ist ein Teil des malerischen Deggendorfer Stadtplatzes geschmückt: für das CSU-Europafest. Eine Blaskapelle spielt und es gibt Freibier, wenn auch gänzlich unbayerisch in Pappbechern. Die Stimmung ist gut, Generalsekretär Dobrint begrüßt den dunkelhäutigen Schauspieler Charles M. Huber, in Niederbayern aufgewachsen und CSU-Unterstützer, mit den Worten: "Da schau her: Ein echter Schwarzer unter den Schwarzen." Nach einer kurzen Rede nimmt sich Horst Seehofer noch viel Zeit zum Händeschütteln: Vor der Bühne findet sich kaum jemand, der nicht zur Europawahl gehen wird. Ein Transportunternehmer sagt: "Für uns alle ist Europa wichtig."
Doch nur ein paar Schritte weiter, in den Cafés und vor den Geschäften interessiert sich kaum jemand für die Europawahl. Oder es wird geschimpft: über die europäische Politik, über die Glühbirnen-Verordnung, über den Streit um das Salz im Brot. Bürokratie und Überregulierung, das verbinden die meisten mit der Europäischen Union. Eine junge Auszubildende sagt: "Die machen doch nur Probleme." Genau in dem Moment fällt ihr eine Kugel Schokoladeneis aus ihrer Waffel auf das Straßenpflaster. "Sehen sie!"
Die Klagen sind nicht neu. Dabei hätte man hier allen Grund, zufrieden mit Europa zu sein. Die Grenzregion Niederbayern bekommt mehr Gelder aus EU-Mitteln, als es an Brüssel zahlt. Kaum jemand weiß hier, dass ohne EU-Mittel die neue Stadthalle nie gebaut worden wäre. Auch dass die Fachhochschule von Fördergeldern profitiert, ist den meisten unbekannt. "Wir müssen den Menschen sagen, dass nicht alles schlecht ist, was aus Brüssel kommt", sagt Manfred Weber. "Vor fünf Jahren, als die Grenzen geöffnet wurden, hatten alle hier Angst: Die Kriminalität würde steigen und billige Arbeitskräfte nach Deutschland kommen. Nichts davon ist eingetreten. Die Gegend profitiert ungeheuer von den offenen Grenzen."
Um die Leute an die Urne zu bringen, will der 37-jährige Weber Europapolitik nicht mehr erklären. Er will politisieren, er will in den nächsten vier Wochen auf vielen Wahlkampfveranstaltungen deutlich machen, wo die Unterschiede zwischen den Parteien liegen, dass jede Entscheidung, die in Brüssel gefällt wird, die Menschen direkt betrifft. Doch das versuchen die Parteien seit Jahren. Ohne durchschlagenden Erfolg.
Und dass der Kampf um die Wähler auch diesmal hart wird, zeigt sich am Abend, wenige Kilometer entfernt von Deggendorf, in der Stadt Dingolfing. Nur 30 Zuhörer verlieren sich in dem großen Saal der Gaststätte "Wasserburger Saal". Manfred Weber, ihr Mann aus Brüssel, hält dort trotzdem eine sehr engagierte Rede. Er muss um jede Stimme kämpfen. Denn er weiß, von alleine geht für die CSU auch in Niederbayern nichts mehr.