Nahost-konflikt
Heiko Flottau über Ursachen und Wirkungen des israelischen »Sicherheitszauns«
Über den Nahost-Konflikt gibt es eigentlich Bücher in Hülle und Fülle. Dennoch ist die Unkenntnis immer noch groß, wenn es um die komplizierten Schlüsselfragen im israelisch-palästinensischen Verhältnis geht. Deshalb ist es verdienstvoll, dass der langjährige Nahost-Korrespondent Heiko Flottau sich mit seinem Buch "Die Eiserne Mauer" jenem Bauwerk widmet, bei dem schon die Wahl der Bezeichnung als "Sicherheitszaun", "Apartheid-Mauer" oder "Sperranlage" den Richtungsstreit von Gegnern und Befürwortern erkennen lässt.
Bereits der Titel zeigt, dass sich Flottau ausführlich mit den ideologischen Grundlagen des Mauerbaus im Zionismus auseinandersetzt. So schrieb einer der frühen Zionisten, Wladimir Jabotinsky, schon 1923 den Aufsatz "Eiserne Mauer", nach dem Flottau sein Buch benannt hat. Darin propagierte er, dass sich die jüdischen Einwanderer von der arabischen Bevölkerung abschirmen sollten. Seine Argumentation besagte, dass ein einheimisches Volk der Kolonialisierung durch ein zuwanderndes Volk niemals zustimmen werde und ihm deshalb eine trennende Mauer die richtige Lösung schien.
Neben dem "Propheten des Mauerbaus" beschreibt Flottau in einem weiteren Kapitel die umstrittene Rolle des "politischen Architekten der Mauer", des früheren israelischen Ministerpräsidenten Ariel Scharon. Er habe Jabotinskys politische Ansichten in Zement und Stahl gegossen, so Flottau. Das schiere Ausmaß der Sperranlage und die Tatsache, dass Mauer und Zaun zum Teil auf palästinensischem Land verlaufen, ließen die Palästinenser zu dem Schluss kommen, dass Israel damit zugleich einseitig Grenzen festlege, Fakten schaffe und die Gründung eines palästinensischen Staates auf lange Sicht verhindern wolle. "Die Ausschaltung der Palästinenser als politisches Subjekt könnte die Folge dieser Politik sein."
Heiko Flottau lässt keinen Zweifel daran, dass aus seiner Sicht der Grenzwall die Probleme nicht löst: "Mauer und Zaun sind lediglich der in Stahl und Beton gegossene Beweis, dass eine Lösung nicht in Sicht ist. Der Konflikt tritt in eine neue Phase, eine verschärfte Form", schreibt er und stellt auch gleich zu Beginn seines Buches klar, dass eine Zweistaatenlösung angesichts der Zersplitterung des Westjordanlandes bereits unmöglich geworden sei.
Trotz solcher klaren Aussagen zeichnet der Nahost-Kenner ein differenziertes Bild, in dem er auch der israelischen Sicht Rechnung trägt, dass die Mauer die Ermordung israelischer Bürger durch palästinensische Selbstmordattentäter weitgehend verhindert. Mit deutlichen Worten weist er dabei der "unverantwortlichen Strategie der Hamas und anderer Widerstandsgruppen" einen gehörigen Teil der Schuld am Mauerbau zu. Sie hätten Israel dazu gebracht, sich hinter einer Festungsmauer zu verschanzen.
Reportagen von Journalistenkollegen ergänzen das Buch ebenso, wie Berichte von Palästinensern über das Leben im Schatten der Mauer. So beschreibt der palästinensische Arzt Mahmud Mustafa in seinem leider sehr kurz geratenen Beitrag "Warum ich in Qalqilia nicht mehr leben kann" die unerträgliche Lebensrealität seiner von der Mauer umschlossenen Heimatstadt Qalqilia im Westjordanland. An anderer Stelle beschreibt Jamal Juma, Organisator der Kampagne "Stop the Walls", wie die Mauer das Leben der Menschen stranguliert.
Flottau blickt über den Nahost-Konflikt hinaus auf andere "Wälle des Unvermögens" und setzt die israelische Mauer in einen Zusammenhang mit der Berliner Mauer, der Mauer in Belfast, der Befestigungsanlage zwischen Indien und Burma oder der Grenze zwischen Mexiko und den USA. Weltweit gibt es 31 Mauern oder Erdwälle in einer Gesamtlänge von rund 22.000 Kilometern oder sie sind noch im Bau. Diese Betrachtungen hätten mehr Raum verdient, um das Phänomen solcher Abschottungspolitik nicht nur am Beispiel Israels zu analysieren, sondern in ihrer globalen Dimension zu verdeutlichen.
Lesenswert ist das Kapitel über den in den USA verbreiteten christlichen Zionismus, der die einseitige Unterstützung der Bush-Administration für Israel in den vergangenen Jahren angesichts von geschätzten 50 Millionen christlichen Zionisten in den USA verständlicher macht.
Trotz vieler gelungener Passagen des Buches, hätte es dessen Qualität sicher gesteigert, wenn Flottau sich stärker auf die schwierige Auseinandersetzung mit seinem eigentlichen Thema konzentriert hätte. Eine klare thematische Gliederung ist nicht erkennbar. Viele Aspekte werden nur angerissen, aber nicht vertieft. Vor allem in der zweiten Hälfte des Buches schweift Flottau sehr weit in die allgemeine Nahost-Problematik ab und referiert über weite Strecken eine Fülle von Fakten, bei denen viele Leser schon bei der Zeitungslektüre häufig abschalten. Dies offenbart das Problem vieler langjähriger Nahost-Experten, die sich leicht im weiten Fluss ihrer großen Kenntnisse verlieren. Hinzu kommt, dass einige der abgedruckten Reportagen mit ihren Erscheinungsdaten 2002 oder 2005 schon recht verstaubt wirken und sich eine größere Aktualität sicher gelohnt hätte.
Irreführend ist auch der Untertitel des Buches: "Palästinenser und Israelis in einem zerrissenen Land". Denn um die Auswirkungen des Mauerbaus auf die israelischen Gesellschaft geht es leider abseits von Betrachtungen über die Siedlerbewegung nur sehr am Rande.
Die Eiserne Mauer. Palästinenser und Israelis in einem zerrissenen Land.
Ch.Links Verlag, Berlin 2009, 222 S., 16,90 ¤