Kolonialzeit
Joachim Zeller über die visuelle Macht von Reklamesammelbildern
Menschenfresser mit fremd anmutendem Kopfputz hier, freundliche Herren mit blütenweißen Anzügen und Safarihelmen in Sänften schaukelnd dort. Das waren Motive in den "Sanella-Alben" der 1950er Jahren. "Erforschungsreisen im französischen Kongo" stand darüber, "Besitzergreifung des Kamerun" oder schlicht "Eingeborene". Von Ende des 19. Jahrhunderts bis in die 1950er, die Hochphase der Reklamesammelbilder, waren derlei exotische Bildmotive begehrt in Europa.
Der Historiker Joachim Zeller hat die "Bilderschule der Herrenmenschen" akribisch analysiert: jene Sammelbilder, die Kakaokartons, Nudelpackungen oder Zigarettenschachteln beilagen und von der Kolonialmacht Deutschland zeugten. Selbst im namibischen Swakopmund geboren, hat Zeller sich schon in seinen früheren Arbeiten der kolonialen Vergangenheit Deutschlands verschrieben. Er versuche, erklärt der Historiker, dem "in Deutschland immer noch weit verbreiteten kolonialen Gedächtnisschwund entgegenzuwirken". Der postkoloniale Blick auf deutsche Geschichte ist fürwahr relativ jung. Seitdem 2004 feuilletonweit an den 100. Jahrestag des Herero-Aufstands gegen die deutschen Invasoren gedacht wurde, wird das Thema erfreulicherweise zunehmend aus dem Herzen der Finsternis geholt.
Zeller weiß, dass er einen Schatz geborgen hat und setzt konsequent auf die Wucht des visuellen Horrors. Sein Bilderbuch aus Sammelkarten ist thematisch sortiert, und statt langgewundener Aufsätze finden sich lediglich kürzere, doch präzise Begleittexte. Die Bilder sprechen für sich - die richtige Entscheidung.
Seit einigen Jahren hat sich die Wahrnehmung gewandelt, Produkte der Alltags- und Populärkultur werden in ihrer visuellen Wirkmacht ernst genommen. Schon der Titel des Bandes bringt es auf den Punkt: Der Trick mit den Pappkarten war bildhaft betriebene Missionarsarbeit, eine Schule des Sehens. So waren jene kolonialen Sammelbilder klare nationale Propaganda, dazu gedacht, die Gesellschaft zusammenzuschweißen: Die Ab- grenzung gegen das unheimliche Andere war identitätsstiftend. Ein typischer Gestus von Kolonialmächten, wie der palästinensische Literaturtheoretiker Edward W. Said bereits Ende der 70er-Jahre ausführte. Sein "Orientalism" ist längst ein Klassiker der postkolonialen Studien. "Der Fremde half", so Zeller, dem Europäer in seinem Selbstverständnis, "an der Spitze der menschlichen Evolution zu stehen."
Der stereotype Kontrast zwischen dem unheimlichen Dunklen, dem "Horror", und der hellen Strahlkraft der aufgeklärten Wahrheit, den schon Joseph Conrad in seinem Ur-Text "Herz der Finsternis" beschwor, zieht sich auch durch die Illustrationen. Hartgesottene, weiße Männer und faule Schwarze, zivilisierte Europäer und barbarische Wilde. Hier der nackte Eingeborene mit unterentwickeltem Intellekt, dort der kluge Missionar und Lehrer, der erst einmal zeigt, wie man jagt, sich kleidet, isst. Alles in pittoresken, leeren Landschaften, die nur darauf warten, eingenommen, bevölkert, infrastrukturell hochgerüstet und geplündert zu werden.
Das Perfide: Die Sammelbilder waren nicht nur beschriftet; in den Alben dienten sie als Illustrationen einer Geschichte, die die Hierarchie zwischen "denen" und "uns" sprachlich zementierten: "Schutzgebiete", so der Euphemismus für die besetzten Landschaften, die Kolonialmächte waren dementsprechend natürlich "Schutztruppen". Und ab 1933 zeugen die Bildkarten wortmächtig von der deutschen "Trauer" um die verlorenen Gebiete. Die Stereotype wirken bis heute. So wünscht sich Zeller eine "visuelle Entkolonialisierung", eine "visuelle Demontage des bis dahin vorherrschenden kolonialen Blicks". Ein Blick ins Supermarktregal zeigt den Status Quo: Der Sarotti-Mohr ist kein Sarotti-Mohr mehr. Seit fünf Jahren ist er offiziell ein Magier. Es fällt nicht auf.
Bilderschule der Herrenmenschen. Koloniale Reklame-sammelbilder.
Ch. Links Verlag, Berlin 2008; 256 S., 39,90 ¤