USA
An Barack Obamas Gesundheitsreform scheiden sich die Geister - selbst bei den Demokraten
Das hatte sich Barack Obama anders vorgestellt. Noch vor der Sommerpause sollten die Abgeordneten in Senat und Repräsentantenhaus der USA über ihre Entwürfe für eine Gesundheitsreform abstimmen. Im Herbst sollte das Gesetz gezimmert werden, mit dem der Präsident sein erstes Jahr im Amt krönen will. Doch die Volksvertreter in beiden Kammern des amerikanischen Kongresses haben ihr Klassenziel verfehlt: Mit Ach und Krach reichte es Ende Juli gerade noch für Kompromisse in den Fachausschüssen - die Diskussionen im Plenum wurden auf September vertagt.
Obama ist jemand, der auch in schwülen Sommertagen einen kühlen Kopf behält: "Wir haben ihnen eine Frist gesetzt, und irgendwie haben sie die Frist nicht eingehalten", kommentierte er seine Niederlage. "Aber das ist ok." Nun hätten die Parlamentarier wenigstens den ganzen August Zeit, die komplizierten Entwürfe zu lesen.
Doch irgendwie ist auch nicht ok, dass der Plan so schwierig zu vermitteln ist. "Manchmal werde ich ein wenig frustriert, weil es eine dieser Situationen ist, in denen es so offensichtlich ist, dass das System, das wir haben, für zu viele Leute nicht funktioniert", brach es anderntags aus Obama heraus. Dabei wissen alle, dass es so nicht weitergehen kann. Mit Kosten in Höhe von 17 Prozent des Bruttoinlandsprodukts leisten sich die Amerikaner das teuerste Gesundheitssystem der Welt, Tendenz stark steigend. Ein Drittel der Ausgaben seien Verschwendung, schätzt das unabhängige Dartmouth Institute. Die medizinische Versorgung liegt in vielen Bereichen unter dem OECD-Durchschnitt. Zudem nehmen die USA als einziges großes Industrieland in Kauf, dass 47 Millionen Menschen keine Versicherung haben und im Ernstfall auf die Notaufnahmen der Krankenhäuser angewiesen sind.
Sogar Harry and Louise sind heute für eine Gesundheitsreform. 1994 hatte das fiktive Paar den Amerikanern in Fernsehwerbespots die Pläne der Clinton-Regierung madig gemacht. "Eine Wahl, die der Staat trifft, ist keine Wahl!", lehnte Louise am Küchentisch die Idee einer staatlich finanzierten Krankenversicherung ab. Für den Versichererverband "Health Insurance Association of America" (HIAA) lohnte sich die Investition: Das Projekt unter Leitung der damaligen First Lady und heutigen Außenministerin Hillary Clinton starb einen qualvollen Tod im Kongress, im selben Herbst verloren die Demokraten bei Zwischenwahlen ihre Mehrheit. 15 Jahre später werben die Schauspieler von damals für einen neuen Reformversuch. "Diesmal müssen wir es hinbekommen", sagt Louise zu Harry.
Die Gesundheitsindustrie, die ihre Profite seither fleißig mehren konnte, weiß, dass es Zeit für einen Imagewechsel ist. Die Reform wird kommen, so das Kalkül, da ist es klüger, von Anfang an mit am Tisch zu sitzen. Zu den Sponsoren der neuen Harry-and-Louise-Spots gehört ausgerechnet die Pharmalobby Pharmaceutical Research and Manufacturers of America. Auch der Krankenhausverband ist auf den Präsidenten zugegangen: Mit einem Einnahmenverzicht von 150 Milliarden US-Dollar in 10 Jahren will er bei der Finanzierung der Reform helfen. Selbst die Versicherer sind zahm geworden. "Americas Health Insurance Plans" die Nachfolgeorganisation der HIAA, hat Obama Unterstützung zugesagt.
Den Zeitplan stören andere: Im Repräsentantenhaus sah sich Obama zuletzt mit einem Aufstand fiskalkonservativer Demokraten konfrontiert. Dieser Gruppe, die sich "Blue Dogs" nennt, gehören 52 Abgeordnete an, gemeinsam könnten sie die Mehrheit in Gefahr bringen. Diese Abgeordneten, die meist ländliche Bezirke vertreten, mussten in diesem Jahr schon zwei Kröten schlucken: erst das 787 Milliarden US-Dollar teure Konjunkturprogramm, dann das Klimaschutzgesetz, das im Mai mit knapper Mehrheit das Haus passierte. Sie fürchten, ihr Konto an Haushaltssünden damit schon überzogen zu haben.
Nicht einsehen wollten die Blauen Hunde, warum eine Reform, die das Gesundheitswesen effizienter machen soll, in den kommenden zehn Jahren eine Billion Dollar (1.000 Milliarden Dollar) kosten soll. In zähen Verhandlungen setzten sie durch, dass das Preisschild auf 900 Milliarden Dollar reduziert wurde. "Ich bin besorgt, dass einige Demokraten lieber mit den Republikanern gemeinsame Sache machen, als ihre Probleme mit ihren Parteigenossen zu lösen", schimpfte der liberale Ausschussvorsitzende Henry Waxman auf dem Höhepunkt des Streits - und das war Wasser auf die Mühlen der Opposition. Die Demokraten hätten ein Gesetz produziert, das sie nicht einmal ihren eigenen Mitgliedern verkaufen könnten, spottete Mitch McConnell, der Republikanerführer im Senat.
Dabei strebt der Senat sogar nach einer überparteilichen Lösung. Wegen der Erkrankung zweier Senatoren können die Demokraten nicht auf ihre theoretisch wasserdichte Mehrheit von 60 Stimmen bauen. Und so feilten drei Demokraten und drei Republikaner im Büro des Finanzausschussvorsitzenden Max Baucus an einem Kompromiss, der am Kern des Obama-Plans rüttelt: am Aufbau eines staatlichen Krankenversicherungssystems, das den privaten Anbietern Konkurrenz machen soll. Die Staatsoption könnte danach durch den parallelen Aufbau gemeinnütziger Kooperativen ausgehebelt werden. Es ist nicht schwer zu raten, woher die nächste Revolte droht: aus dem Lager linksgerichteter Demokraten, die sich um ihre Reformziele betrogen sehen.
Der Präsident entsandte seinen Stabschef Rahm Emanuel auf den Kapitolshügel, während er auf Werbetour durchs Land zog, wo das Vertrauen der Bürger in seine Reformpläne in Umfragen bedrohlich gesunken ist. "Niemand redet darüber, Medicare-Leistungen zu kürzen", beruhigte Obama Ende Juli ein Publikum von Rentnern. Doch der Senats-Finanzausschuss sieht bei den staatlichen Zuschüssen für die Gesundheitsversorgung älterer Amerikaner großes Einsparpotenzial. Im Kroger Supermarkt in Virginia versprach der Präsident den Angestellten, dass sie ihre vom Arbeitgeber finanzierte Krankenversicherung behalten könnten. Doch noch ist die Option nicht vom Tisch, die Arbeitgeberbeiträge künftig zu besteuern.
Und so wächst mit jedem neuen Modell, das auf den Tisch kommt, die Zahl der Gruppen, die Nachteile fürchten. Den US-Demokraten und ihrem Präsidenten steht ein heißer August bevor.