Seefahrt
Zum dritten Mal in der Geschichte schwingt sich Deutschland zu einer maritimen Macht auf
Der 4. Juli 1849 war ohne Zweifel ein historischer Tag in der deutschen Geschichte: Nahe der damals noch britischen Insel Helgoland liefern sich Kriegsschiffe Dänemarks mit Schiffen des Deutschen Bundes ein Gefecht. In den Masten der sogenannten Reichsflotte weht Schwarz-Rot-Gold. Bis heute ist dies das einzige Seegefecht, das deutsche Kriegsschiffe unter schwarz-rot-goldener Flagge ausgefochten haben. Doch dies könnte sich, folgt man den Ausführungen des Hamburger Publizisten Hermannus Pfeiffer in seinem aktuellen Buch "Seemacht Deutschland", schon bald ändern.
Ohne Zweifel fährt die Deutsche Marine seit einigen Jahren in deutlich gefährlicheren Gewässern als früher. Die Kriegsmarine operiert im Rahmen des Unifil-Mandates vor der Küste des Libanon, soll die Nachschublinien von Terroristen am Horn von Afrika (Operation Enduring Freedom) zerschneiden und im gleichen Seeraum zusammen mit den europäischen Verbündeten die zivile Schifffahrt vor Piraten schützen (Operation Atalanta). Dies dürften nicht die letzten Einsätze dieser Art sein. Deutschland bereitet sich kontinuierlich darauf vor, auf den Weltmeeren Flagge zu zeigen und rüstet dementsprechend auf. Die Beschaffung der fünf neuen Korvetten vom Typ "K130" und der vier Fregatten vom Typ "F125" sprechen nach Pfeiffers Ansicht eine deutliche Sprache. Beide Schiffstypen sind für weltweite und langfristige Einsätze konzipiert, können mit ihren Waffensystemen auch Ziele an Land beschießen. Die Bundesrepublik lässt sich diese maritime Aufrüstung einiges kosten: Der Stückpreis der Korvetten wird mit 250 Millionen Euro, der der Fregatten mit 650 Millionen Euro beziffert. Die sogenanten Marathon-Fregatten, sie können zwei Jahre ununterbrochen auf allen Weltmeeren operieren, ist nach Angaben Pfeiffers "die teuerste Waffe in der deutschen Geschichte".
Hermannus Pfeiffer verortet die Gründe für diese Aufrüstung in der zivilen Schifffahrt, besser und genauer gesagt, im massenhaften Transport von Handelsgütern auf See, der im Zeitalter der Globalisierung exponentiell angestiegen ist. Riesige Containerschiffs-flotten wickeln die weltweiten Handelsströme - vor allem zwischen Nordamerika, Europa und Asien - ab. Und der Exportweltmeister Deutschland spielt in diesem Geschäft eine herausragende Rolle: Die Bundesrepublik verfügt mit weitem Abstand vor Staaten wie Japan oder den USA über die größte Containerschiffsflotte der Welt. Die Schiffe fahren zwar längst nicht alle unter deutsche Flagge, gehören aber deutschen Reedern oder werden von ihnen finanziert. Beim Schiffbau liegen die deutschen Werften weltweit auf Platz vier, in Europa auf Platz eins.
Die geballte Wirtschaftskraft, die sich hinter diesen Angaben verbirgt, ist im hohen Maße abhängig vom freien Warenverkehr auf den Weltmeeren. An dieser Stelle kommt die militärische Komponente ins Spiel. Denn der ungehinderte Fluss von Waren und vor allem Rohstoffen soll nach dem Willen der Politik notfalls eben auch mit Waffengewalt geschützt werden. Pfeiffer argumentiert überzeugend, dass es vor allem diese Verbindung von wirtschaftlicher und militärischer Stärke auf den Meeren ist, die eine Seemacht ausmacht. Diese Erkenntnis ist allerdings nicht neu. Pfeiffer demonstriert dies an den Beispielen der Hanse, die 500 Jahre europäischer Seefahrtsgeschichte prägte, und des deutschen Kaiserreichs unter Wilhelm II. Der Autor ist sich zwar bewusst, dass sich das Gebilde Hanse und Staaten wie das Kaiserreich und die Bundesrepublik historisch nur bedingt miteinander vergleichen lassen, aber die Ähnlichkeiten sind offensichtlich: In allen drei Fällen zogen und ziehen Politik, Wirtschaft und Militär mit Blick auf das Meer am gleichen Strang.
Der Seefahrer Sir Walter Raleigh - er stand im Dienst von Königin Elizabeth I., unter deren Herrschaft sich England zur Seemacht aufschwang - brachte es auf den Punkt: "Wer die See beherrscht, beherrscht den Handel der Welt, und wer den Handel der Welt beherrscht, dem gehören alle Schätze der Welt und tatsächlich die Welt selbst." Dieser Satz war damals auch für die übrigen europäischen Seemächte wie Portugal, Spanien und Holland Programm. Und mit Blick auf die Globalisierung und ihre Handelsströme gilt er noch heute.
Pfeiffer beschreibt, wie auch Bundeskanzler Gerhard Schröder diese Erkenntnis fast unbemerkt von der öffentlichen Wahrnehmung in reale Politik umsetzte: In der Folge sei "ein Maritimer Komplex" entstanden, "in dem Politik, Wirtschaft und Militär eng miteinander vernetzt sind". Diese Politik sei auch von der Großen Koalition unter Angela Merkel konsequent fortgesetzt worden.
"Der deutsche Neptun", so lamentierte Mitte des 19. Jahrhunderts der populäre Reiseschriftsteller Johann Georg Kohl, "hat keine Gewalt, auch nur den geringsten Winkel der Erde zu erschüttern, denn wir Deutschen haben es versäumt, ihm seinen Dreizack zu schmieden." Diese Zeiten, dies belegt Hermannus Pfeiffer in seinem spannenden Buch überzeugend, gehören definitiv der Vergangenheit an.