ENERGIE
Solarkraftwerke könnten zu einem Musterbeispiel europäisch-afrikanischer Kooperation werden. Wie in Kuraymat
Wer Kairo Richtung Süden auf der Ostseite des Nils verlässt, kommt an dutzenden rauchender Schlote vorbei. Es mögen mehr als einhundert sein - eine stille Prozession des industriellen Zeitalters. Ein Trauermarsch gewissermaßen, denn die Schornsteine blasen den Dreck einer Epoche in den Himmel, die immer noch vorwiegend fossile Brennstoffe verheizt.
Rund 105 Kilometer südlich von Kairo beginnt jedoch die Zukunft. In der Geröllwüste nahe der Siedlung Kuraymat wird derzeit das erste Solarkraftwerk des Landes gebaut. Jedes Zeitalter errichtet sich seine Energiekathedralen, sagte der Historiker Dirk van Laak kürzlich der Wochenzeitung "Die Zeit". Und in den Wüsten Nordafrikas sollen in den nächsten Jahren die neuen Kathedralen entstehen - nach Kohle-, Gas- und Ölverstromung sowie Energie aus Kernbrennstoffen nun Sonnenkraftwerke in großem Maßstab.
Ein Schlüsselwort für den Wüstenstrom aus Afrika lautet "Desertec". Am 13. Juli unterzeichneten zwölf deutsche und ausländische Unternehmen sowie Vertreter der Politik in München eine viel versprechende Absichtserklärung. "Das Projekt wird nicht nur die europäische Energieversorgung revolutionieren", sagte der schleswig-holsteinische Umweltminister Christian von Boetticher, der zu den Desertec-Unterstützern gehört. In 10 bis 15 Jahren, so hofft man, könnte der Wüstenstrom dann nach Europa fließen - in einer Menge, die im Jahr 2050 mehr als ein Sechstel des gesamten europäischen Bedarfes decken soll.
Fraglich bleibt, ob darunter Strom aus Kuraymat sein wird. Denn das Kuraymat Solar Thermal Hybrid Project gehört nicht zur Desertec-Initiative. Horst Oberschmidt, Manager der deutschen Firma Flagsol, findet dennoch: Desertec und Kuraymat müssen in einem Atemzug genannt werden. Wenn das Kraftwerk von Juli 2010 an Strom liefern wird, gehört es zu den ersten Anlagen seiner Art in Nordafrika und dem Nahen Osten. "Für Ägypten eindeutig ein Referenzobjekt", sagt Oberschmidt, "man will sich damit auf diesem Zukunftsmarkt positionieren."
Auf der Baustelle brennt die Sonne tagsüber erbarmungslos. In Ägypten tut sie das schätzungsweise 3.000 Stunden im Jahr. Im Sommer steigt die Höchsttemperatur auf über 40 Grad Celsius. Pro Quadratmeter ergibt das eine durchschnittliche Energieeinstrahlung von über 2.400 Kilowattstunden. Das sind 300 mehr als in Südspanien, der Region, die innerhalb Europas als einer der besten Standorte für Sonnenkraftwerke gilt. "Weniger als drei Prozent der Fläche der Sahara würden ausreichen", sagt Kuraymat-Projektleiter Klaas Rühmann, "um den Strombedarf der ganzen Welt durch solarthermische Kraftwerke zu decken".
Die Zufahrt zum Gelände wird von Orascom-Mitarbeitern kontrolliert. Das ägyptische Unternehmen sei, sagt Horst Oberschmidt, "eine potente, qualifizierte Baufirma, die international arbeitet und in der Lage ist, größere Projekte durchzuführen". Ohne einen solchen einheimischen Partner wäre die Errichtung eines Solarkraftwerkes zu teuer. Während die deutsche Firma Solar Millennium mit ihrer Technologie-Tochter Flagsol den Aufbau des Solarfeldes verantwortet und die Komponenten besorgt, übernimmt Orascom Bau und Montage vor Ort. In einer eigens zu diesem Zweck errichteten Fabrikhalle montieren ägyptische Arbeiter die Gestelle, an denen sie schließlich die Spiegel befestigen. Das geschieht mit größter Präzision auf den halben Millimeter genau. "Idhkur Allah" (Gedenke Gottes), schrieb einer der Arbeiter an seine Maschine. Denn Gott sei es, sagt er, der ihm dazu die nötige Sorgfalt verleihe.
Rund zwei Drittel der Reflektoren stehen bereits dort, wo sie hingehören, in der Wüste. Wie in vielen Landesteilen Ägyptens entspricht diese auch hier nicht dem Sanddünenklischee, sondern ist felsig und voller Steingeröll. Damit ist gewährleistet, dass die Reflektoren auf festem Baugrund stehen. In Ägypten, das zu 95 Prozent aus Wüste besteht, können zudem große zusammenhängende Flächen für Kraftwerksprojekte erworben werden, anders als in Südeuropa, wo die Akquise solcher Flächen oft schwierig ist und Jahre dauern kann.
Halbwegs stabile politische Verhältnisse, ausreichende Sonneneinstrahlung, geeignete Bodenbeschaffenheit und Landmenge, potente Kooperationspartner vor Ort - alle diese Faktoren bilden den unverzichtbaren Rahmen für nordafrikanische Sonnenkraftwerksprojekte, mit denen Strom für Europa produziert werden soll. Ägypten kann alle diese Faktoren garantieren. Es ist überdies in der Lage, Wasser bereitzustellen, das zur Kühlung benötigt wird und Staub und Sand von den Spiegelflächen wäscht. Der Nil fließt nur wenige Kilometer vom Kraftwerk entfernt. In den Chefetagen der ägyptischen "Behörde für erneuerbare Energien" (NREA) wird gemunkelt, wegen des nahen Gaskraftwerkes sei die Standortwahl eine Fehlentscheidung. Die Abgase könnten die Spiegel verschmieren. Horst Oberschmidt winkt ab. Die von den eigenen Messstationen ermittelten realen Luftparameter seien sogar noch besser als jene, die die Ägypter vor Baubeginn als Vertragsgrundlage bereitgestellt hatten.
Das Solarkraftwerk Kuraymat wird eine Gesamtkapazität von 150 Megawatt haben. Die Sonne sorgt allerdings nur für ein Sechstel dieser Menge, und auch das nur tagsüber. Die Anlage ist als Hybridkraftwerk konzipiert, sodass die übrigen 125 Megawatt durch die Verstromung von Gas erzeugt werden. Ein kleiner Anteil, wenn man bedenkt, dass bis 2013 die Kraftwerkskapazitäten im Land um mehr als 9.000 Megawatt erweitert werden sollen. Ägyptens Energiehunger wuchs allein 2008 um 13 Prozent. Bis 2020 soll der Anteil erneuerbarer Energie auf 20 Prozent steigen. Ägypten könnte dann kostbares, im Land gefördertes Erdgas devisenbringend ins Ausland verkaufen, statt es für die Stromerzeugung zu nutzen.
Ägyptens Interesse an alternativen Energiequellen trifft auf einen globalen Trend. Es entsteht derzeit ein Megamarkt für Solarenergie, an dem viele verdienen wollen. Für Horst Oberschmidt fiel der Startschuss dafür in den vergangenen Jahren, als der Ölpreis explodierte und das Umweltbewusstsein zunahm. Ein Anzeichen für diese Entwicklung sei die zunehmende Konkurrenz: "Führende Komponentenhersteller erhöhen ihre Fertigungskapazitäten in Ländern wie Spanien und den USA drastisch. Die Kosten für Solaranlagen werden sinken." Auch in Ägypten sollen weitere Anlagen entstehen. "In der Wüste am Nil", sagt Oberschmidt, "könnten so viele Solarflächen entstehen, dass man Desertec allein in Ägypten haben könnte."
Bislang haben nur Industrieländer Solarkraftwerke gebaut: In den USA stehen sie im sonnigen Kalifornien und im Wüstenstaat Nevada. In Europa ist Spanien der Vorreiter dieser Technologie und zeigt, dass viele Sonnenstunden sich nicht nur für Landwirtschaft und Tourismus auszahlen. Doch auch die Entwicklungs- und Schwellenländer schließen auf: Marokko hat beispielsweise bereits sein Interesse an Desertec signalisiert.
Saubere Elektrizität für den Eigenbedarf sowie für Europa, Investitionen, Arbeitsplätze - die Idee vom Sonnenstrom aus der Wüste nutzt, so scheint es, allen Beteiligten gleichzeitig. Auch die ägyptischen Arbeiter in Kuraymat sind sich dessen bewusst. "Dieses Kraftwerk dient unserem Land", sagt Magdi Halim, der eine kleine Cafeteria auf der Baustelle betreibt. "Es nutzt unserer Wirtschaft und schafft Arbeitsplätze. Und es ist ein Freund der Natur."
Der Autor arbeitet als
freier Journalist in Kairo, Ägypten