MITTELMEER-METROPOLEN
Die Küstenlage prägt das Leben in der Stadt. Vier ganz unterschiedliche Beispiele
Am unteren Ende der Ramblas, Barcelonas berühmter Flaniermeile, steht Kolumbus auf einer 60 Meter hohen Säule und zeigt hinaus aufs Meer. Regelmäßig wird darüber gescherzt, dass die Statue aus dem 19. Jahrhundert eigentlich in die falsche Richtung weist: gen Mittelmeer statt Richtung Atlantik. Doch der ausgestreckte Zeigefinger markiert eben nicht des Entdeckers eigenen Weg, sondern den der Barceloneser. Die zogen schon 200 Jahre vor Kolumbus aus und eroberten im Auftrag des Königreiches von Aragón und Katalonien erst Mallorca und Menorca, später Sardinien. Sie unterhielten Handelsniederlassungen an 126 mittelmeerischen Orten, darunter Konstantinopel, Beirut oder Tripolis. Nach dem Aufstieg Kastiliens zur Großmacht schrumpfte der katalanische Einfluss im Mittelmeer. Und Kataloniens Nationalisten beklagen noch heute die fehlende Unabhängigkeit von Spanien. Der zeitgenössische Nationalismus ist oft provinziell und voller Ressentiments. Aber er beruft sich auch auf Barcelonas Tradition als besonders weltoffene, multikulturelle und wirtschaftlich agile Stadt. Anfang des 20. Jahrhunderts gab es mit dem Mediterranismus sogar eine kulturelle Bewegung, die antike griechische und römische Vorbilder mit der europäischen Moderne zu verbinden suchte; in Madrid spürte man damals lieber dem ewigen Wesen der spanischen Seele nach. Insofern hat sich Barcelona das Generalsekretariat der Mittelmeer-Union, das der Stadt 2008 zugesprochen wurde, redlich verdient.
Der Autor arbeitet als freier Journalist in Barcelona, Spanien.