Entwicklungshilfe
Volker Seitz kritisiert die Politik westlicher Regierungen und die Eliten in der Dritten Welt
Der Deutsche Entwicklungsdienst sei "so groß wie nie zuvor", verkündete sein Geschäftsführer unlängst bei der Vorstellung des neuen Jahresberichts. Volker Seitz dürfte eine solche Äußerung bitter aufstoßen und sie zugleich in seinem Urteil bestätigen: Der frühere Diplomat kritisiert, dass sich die internationale Entwicklungshilfe zu einem milliardenschweren Geschäft entwickelt hat, bei dem die unzähligen staatlichen und nichtstaatlichen Hilfsorganisationen mindestens so sehr an ihr eigenes Wohlergehen denken wie an die Armen dieser Welt. Er argumentiert, dass mehr Geld für Afrika der Bevölkerung nichts bringt und unter den gegebenen Bedingungen sogar eher schadet.
Seitz kennt die Praxis der Entwicklungshilfe aus eigener Anschauung. Er war 17 Jahre als Diplomat in Afrika, darunter als Botschafter in Benin und in Kamerun. Zusammen mit Rupert Neudeck, dem Gründer der Hilfsorganisation "Grünhelme", und einigen weiteren Mitstreitern hat er vor einem Jahr den "Bonner Aufruf" vorgelegt - eine scharfe, aber wenig überzeugende Fundamentalkritik an der deutschen Entwicklungspolitik. Leider ist sein Buch nicht viel besser, auch wenn es einige scharfsinnige Beobachtungen enthält.
Seitz hat ein Herz für Afrika, er mag die Menschen dort, sofern sie nicht zur politischen Elite zählen. An der lässt er nämlich kein gutes Haar: Wer in Afrika Macht hat, denke allzu oft nur an sich und nicht an Land und Leute. Gut nachvollziehbar beschreibt er, wie sich das von ihm genannte "Chefproblem" im Alltag vieler schlecht regierter Staaten äußert und welche Folgen es hat: wirtschaftlichen Stillstand, subtile politische Unterdrückung, ausufernde Bürokratie und Verlogenheit. Darin sieht Seitz das größte Entwicklungshemmnis.
Der Entwicklungshilfe wirft Seitz vor, dieses Problem noch zu vergrößern - wobei er vor allem Geldtransfers westlicher Regierungen meint und nicht so sehr die Entwicklungsarbeit unabhängiger Hilfsorganisationen oder der Kirchen. Die Hilfe, so Seitz, komme nicht bei der Bevölkerung an, sondern stärke unfähige Führer. Wären die reichen Länder ernsthaft an besseren Lebensbedingungen in Afrika interessiert, dann müssten sie mehr Druck auf die Eliten ausüben. Und sie müssten die Entwicklungshilfe konsequent als Hebel dafür nutzen.
Mit anderen Worten: Seitz will die Hilfe für Afrika nicht abschaffen so wie manche andere Kritiker. Er will aber sichergestellt wissen, dass die wirklich Bedürftigen davon profitieren. Und er will sie als Instrument für einen Politikwandel einsetzen. So verlangt er beispielsweise, Staatshaushalte afrikanischer Regierungen, die zum großen Teilen aus Entwicklungshilfe gespeist werden, wie im Defizitverfahren der Europäischen Union unter Aufsicht zu stellen.
Leider beschränkt sich Seitz weitgehend darauf, seine zentrale These auf den 200 Seiten seines Buches stetig zu wiederholen -teilweise wortwörtlich. Das ist nicht nur ermüdend, sondern auch ärgerlich, weil seine Argumentation bei näherer Betrachtung voller Ungereimtheiten steckt. So ist Seitz dafür, das Entwicklungsministerium ins Auswärtige Amt zu integrieren, damit Entwicklungspolitik "ein integraler Bestandteil deutscher auswärtiger Politik" wird. Sein Geheimnis bleibt, warum ausgerechnet dadurch die deutsche Hilfe stärker am Menschen und weniger an den Eliten orientiert ausfallen würde. Seitz ist auch dagegen, mehr deutsche Hilfe über multilaterale Kanäle wie die Europäische Union oder die Vereinten Nationen zu leiten. Grund: Deutschland müsse sein Profil bewahren. Keinen Gedanken verschwendet er daran, dass das von ihm beklagte Chaos in der internationalen Entwicklungshilfe auch deshalb so groß ist, weil alle so denken.
Darüber hinaus schreibt Seitz trotzig gegen vermeintliche politische Korrektheiten an, was nicht selten in platten Pauschalurteilen endet. Beispiel: Bis heute herrsche bei den Vereinten Nationen und in europäischen Hauptstädten die "romantische Vorstellung vor, man müsse nur ein paar leicht bewaffnete Soldaten mit blauen Helmen in Krisengebiete schicken und die Konflikte würden sich dann in Luft auflösen". Das ist schlichtweg Unsinn. In Wahrheit beklagen sich die Vereinten Nationen seit Jahren darüber, dass die Europäer so zurückhaltend bei der Beteiligung an Blauhelmmissionen sind, weil sie die Risiken scheuen.
Seitz Buch bietet lediglich eine Sammlung von Gedankensplittern, die er offenbar in den vergangenen Jahren zu Papier gebracht und für die Veröffentlichung nicht weiter bearbeitet hat. Das belegen die vielen Wiederholungen und einige Fehler. So ist die umstrittene südafrikanische Gesundheitsministerin Manto Tshabalala-Msimang seit September 2008 nicht mehr im Amt und François Bourguignon bereits seit fast zwei Jahren nicht mehr Weltbank-Chefökonom. "Afrika wird armregiert" fügt sich nahtlos in die Reihe der sich häufenden skeptischen Kommentare zur Entwicklungshilfe ein, die mehr durch ihre Lust an der Provokation als durch eine durchdachte Kritik von sich reden machen.
Afrika wird arm regiert oder Wie man Afrika wirklich helfen kann.
Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2009; 219 S., 14,90 ¤