BUNDESWEHR
Nach dem tödlichen Angriff nahe Kundus erhält die Diskussion um den Afghanistan-Einsatz neue Brisanz
Die Worte der Kanzlerin wurden im Bundestag mit Spannung erwartet: Schließlich war der Druck auf die Regierung gewaltig gestiegen, seit ein Bundeswehroffizier am 4. September in Afghanistan einen Luftangriff auf zwei von Taliban gekaperte Tanklaster angefordert hatte. Dabei sollen mindestens 56 Menschen getötet worden sein, darunter nach Nato-Erkenntnissen auch Zivilisten.
In ihrer Regierungserklärung am 8. September musste Angela Merkel (CDU) daher einiges erklären, "lückenlose Aufklärung" versprechen und eine entscheidende Frage beantworten: Wie geht es weiter mit dem Bundeswehreinsatz in Afghanistan? Ihre Antwort fiel überraschend deutlich aus. Zwar sprach die Kanzlerin von den bisher "schwersten militärischen Auseinandersetzungen unter Beteiligung der Bundeswehr". Die unschuldig verletzten und zu Tode gekommenen Menschen bedauerte sie "zutiefst". Doch den Kampfeinsatz am Hindukusch hält sie weiterhin für notwendig. Er trage dazu bei, "die internationale Sicherheit, den weltweiten Frieden und Leib und Leben der Menschen hier in Deutschland vor dem Übel des internationalen Terrorismus zu schützen", sagte Merkel.
Gleichwohl macht sie sich Gedanken über einen allmählichen Rückzug: Erstmals nannte die Kanzlerin sogar eine zeitliche Ausstiegsperspektive. Innerhalb der nächsten fünf Jahre müssten "substanzielle, qualitative Fortschritte" erzielt werden, die es den internationalen Truppen Schritt für Schritt ermöglichten, sich zurückzuziehen.
Der Linksfraktion geht das nicht schnell genug. Ihr Vorsitzender Oskar Lafontaine bekräftigte im Bundestag erneut die Forderung seiner Partei: "Krieg ist kein Mittel der Politik. Ziehen Sie die Bundeswehr aus Afghanistan ab!" Die Kampfeinsätze führten zu mehr Unsicherheit und größerer Terrorgefahr, auch in Deutschland, sagte er.
Unterstützung bekam Merkel von der FDP. Fraktionschef Guido Westerwelle bekannte sich klar zum Engagement am Hindukusch und warnte: "Wenn wir jetzt überstürzt und kopflos abziehen würden, wäre Afghanistan am nächsten Tag wieder das Rückzugsgebiet der Terroristen in der ganzen Welt." Wichtig sei es aber wohl, dem Ziel verpflichtet zu bleiben, "so schnell wie möglich aus Afghanistan rauszugehen". Auch Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) betonte, die Bundeswehr sei "nicht für die Ewigkeit" im Land. Es müsse jetzt geklärt werden, "in welchen Schritten und in welchen Zeitabständen wir zu mehr afghanischer Eigenverantwortung kommen".
Einen möglichst schnellen Rückzug fordern wie die Liberalen auch die Grünen. Jedoch reichte Fraktionsvize Jürgen Trittin die bloße Ankündigung Merkels, noch in diesem Jahr auf einer internationalen Konferenz eine Rückzugsstrategie erarbeiten zu wollen, nicht. Er verlangt von der Kanzlerin, deutlich zu sagen, mit welchen Vorstellungen, Maßnahmen und Zeitplänen die Regierung zu dieser Konferenz gehen will. Grünen-Cefin Claudia Roth sprach sich in der Wochenzeitung "Die Zeit" zwei Tage später für einen Abzug der Bundeswehr binnen vier Jahren aus.
Viel Kritik musste in der Debatte Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) einstecken. Westerwelle warf ihm vor, er habe mit seiner Reaktion auf den Luftangriff vom 4. September "mehr zur Verwirrung als zur Aufklärung beigetragen". Trittin erklärte Jung gar zu einer "Belastung für die deutsche Afghanistan-Politik". Derart angegriffen, hielt sich Jung im Bundestag mit neuen Einschätzungen zurück. "Weil es jetzt auch andere Informationen gibt", müsse man alles daran setzen, einen Beitrag zur sachgerechten Aufklärung des Angriffs vom 4. September zu leisten, sagte er.
Die offizielle Untersuchung läuft bereits: Beauftragt hat sie der Oberbefehlshaber der Internationalen Schutztruppe (Isaf) in Afghanistan, General Stanley McChrystal. Mit Ergebnissen rechnet der Wehrbeauftragte des Bundestages, Reinhold Robbe (SPD), bereits in einigen Tagen.