Facharbeiter
Warum Azubis, die in Essen eine Ausbildung zum Industriemechaniker machen, keine Zukunftssorgen haben
Um seine Zukunft macht sich René Langetat keine Sorgen. "Vielleicht gehe ich nach Süddeutschland oder baue hier ein Haus", sagt der 19-jährige Azubi selbstbewusst. Der schmale junge Mann ist im zweiten Lehrjahr zum Industriemechaniker. Heute steht er mit dem Schweißgerät an seiner Werkbank und lernt, zwei Metallplatten zu verbinden. "Metall ist einfach mein Ding", sagt er zufrieden. Im blauen Schutzanzug hält er die Flamme in einem möglichst gleichen Winkel auf die grauen Blöcke, die andere Hand führt einen Draht in die Lücke und verschmilzt sie dann. Langetats Schweißnaht wölbt sich noch ein wenig wulstig, am Ende des Tages aber soll es nur noch eine feine Linie sein.
Seine Azubi-Kollegen in der Werkstatt des Essener RAG-Bildungszentrums teilen Langetats Optimismus. Die Metallbranche ist zukunftsträchtig, keiner von ihnen muss sich Sorgen um die Zukunft machen. Ob Langetat sich zur Mittelschicht zählt? "Keine Ahnung", sagt er achselzuckend. Aber seine Familie habe immer gut von Facharbeiterberufen leben können, das sei wohl so etwas "wie die Mitte". Sein Vater ist Buchbinder, die Mutter pharmazeutisch-technische Assistentin. Die jüngere Schwester besucht gerade die zehnte Klasse einer Realschule. "Über meine Ausbildungsstelle haben sie sich auch sehr gefreut", so Langetat. Das sei wie ein Fünfer im Lotto, habe seine Mutter gesagt.
In Zukunft werden sich die Azubis noch mehr freuen können: Nach Prognosen der Bundesagentur für Arbeit werden Betriebe ab dem Jahr 2015 händeringend Nachwuchs suchen. "Dann wird die Suche natürlich auch über den Preis entschieden", sagt Dirk Langer. Der Sozialwissenschaftler erforscht am Duisburger Institut für Arbeit und Qualifikation die großen Trends des Ausbildungsmarktes. Und die werden sich komplett umdrehen: Viel zu wenigen Bewerbern stehen schon ab dem Jahr 2015 viel zu viele Stellen gegenüber. "Dann müssen sich die Firmen etwas einfallen lassen: Sie könnten bessere Löhne zahlen, oder Weiterbildungen anbieten, selbst Wellnessgutscheine sind attraktiv", sagt Langer. Natürlich würde der Mangel die Azubis auch im Ansehen in der Gesellschaft steigen lassen. Sie würden geradezu zu einem kostbaren Gut. "Insofern können wir sie zukünftig zur Mittelschicht zählen", erläutert der Wissenschaftler.
Langetat zählt schon jetzt zu der umworbenen Gruppe. Auch heute sind die technischen Berufe gefragt. Und in Zukunft sollen laut Experten in Deutschland die selben Schlüsselindustrien vorherrschen wie in den vergangenen Jahrzehnten: die Automobilindustrie mit ihren Zulieferern, die chemische Branche, die Maschinenproduktion. "Unsere Leute kommen gut unter", sagt auch Langetats Ausbilder Joachim Piwek. Weil Deutschland kaum Rohstoffe besitze, sei das Know-how gefragt. "Wir veredeln hier die eingekauften Materialien und das ist für viele Industrien unabdingbar." Piwek schult seine Azubis in Elektrik, Hydraulik und Pneumatik. Am Ende können sie dann in Firmen gehen und dort die unterschiedlichsten Maschinen reparieren. "Das ist immer gefragt", gibt sich Piwek zuversichtlich.
Friseure, Krankenpfleger und Köche werden es hingegen auch in Zukunft schwer haben. Diese Berufe zählen zwar zu den beliebtesten Ausbilungsberufen, aber die Nachfrage wird nicht unbedingt steigen. Friseure zum Beispiel beschäftigen zunehmend ungelernte Aushilfen. Die Kluft zwischen Arbeitssuchenden ohne Schulabschluss und besser Qualifizierten könnte sogar noch größer werden. "Die besser qualifizierten Schulabgänger werden sich die Rosinen rauspicken und in die technischen Fächer drängen", prophezeit Langer. Übrig blieben dann jene ohne Schulabschluss oder mit einem schlechten Hauptschulzeugnis. "Dann wird sich nämlich die Frage stellen: Bilden die Betriebe überhaupt noch aus oder holen sie sich ihre Mitarbeiter vom ersten Arbeitsmarkt? Diese Frage ist heute noch nicht zu beantworten," sagt Langer.
Klar ist aber: Ohne junge Frauen wird es nicht gehen. Trotz besserer Schulabschlüsse wählen sie heute noch mehrheitlich weniger prestigeträchtige Berufe wie Altenpflegerin oder Friseurin. In Zukunft werden Unternehmen um sie werben müssen, wenn sie qualifizierte Auszubildende haben wollen. Bislang sind Frauen offenbar noch keine ausgemachte Zielgruppe: In Langetats Werkraum sind an den Schweißgeräten nur junge Männer beschäftigt.
Auch Abiturienten könnten zunehmend die praktische Ausbildung wählen, derzeit tun dies nur 25 Prozent von ihnen. Die bislang strikte Trennung zwischen Studium und Ausbildung wird obsolet, die Grenzen werden fließend. "Die duale Ausbildung wird der wichtigste Zukunftstrend", sagt Forscher Langer. Der Mix aus Arbeit im Betrieb und Büffeln im Hörsaal sei dann für alle Schichten attraktiver. Auch die Betriebe würden darauf setzen: Sie können die Inhalte der Ausbildung mitbestimmen und binden ihre Absolventen langfristig. "Werkstatt und Entwicklung werden stärker miteinander verknüpft. So kommen auch in den Betrieben flachere Hierarchien zustande", sagt Langer.
Auch René Langetat will sich weiterbilden. Bislang hat er noch keinen Fuß in eine Hochschule gesetzt. Das war in seinem Freundeskreis und in der Familie bisher nicht üblich. "Aber vielleicht komme ich doch noch einmal an die Uni", sagt er mit Stolz in der Stimme. Das habe bislang noch niemand aus seiner Familie geschafft. "Aber bei mir ist alles offen."
Die Autorin ist freie Journalistin in Bochum.