NS-Raubkunst
Stefan Koldehoff geht hart ins Gericht mit Sammlern und Händlern
Man muss sich das so vorstellen: In einem Museum, sagen wir dem Wallraff-Richartz-Museum in Köln, hängt das "Spargel-Stillleben" des französischen Impressionisten Edouard Manet, entstanden 1880. Darunter Listen mit Namen, Daten und Preisen, die Provenienz des Manet-Gemäldes. So konzipierte der deutsche Künstler Hans Haacke sein "Manet-Projekt '74" - und zeigte so den Zusammenhang zwischen Kunst, Markt und Politik. Mit dieser Biografie des "Stilllebens" legte Haacke nüchtern offen, dass etwa der Mäzen Hermann Joseph Abs die Enteignung der Juden im Dritten Reich für sich nutzte. Der frühere Vorstandschef der Deutschen Bank saß in den 1970er Jahren im Kuratorium des Museums, seine Nazi-Vergangenheit war tabu, Haackes Werk blieb außen vor.
Ebenso deutlich, nur weit umfangreicher ist das Werk, das der auf Kunstthemen spezialisierte Journalist Stefan Koldehoff nun vorgelegt hat: "Die Bilder sind unter uns" heißt seine Arbeit über "Das Geschäft mit der NS-Raubkunst". Mit geradezu kriminalistischem Spürsinn forschte der ehemalige "art"-Chefredakteur nach Werken aus einst jüdischem Besitz, die während der Nazizeit beschlagnahmt oder zwangsversteigert wurden - notgedrungen weit unter Wert. Werke von Otto Dix, Max Liebermann oder Ernst Ludwig Kirchner.
Koldehoffs dichte Sammlung an Analysen ist nichts weniger als eine 230 Seiten starke Anklage. Eine "Stunde Null", wie er es ausdrückt, hat es im deutschen Kunsthandel nach dem Zweiten Weltkrieg in Wahrheit nie gegeben. Ein Wirtschaftszweig, der nach wie vor auf Kosten anderer blüht. Die Beweisführung ist niederschmetternd. Eine Pflichtlektüre für Kuratoren, Galeristen und Auktionatoren: Das Buch zeigt, wie immens der Anteil an Verschweigen und Vertuschen nach wie vor ist, wenn es darum geht, nach Ende des zweiten Weltkriegs weiter bestehende Nazi-Strukturen offen zu legen.
Es sind Einzelfälle, die Koldehoff herauspickt, aber Einzelfälle mit Dimensionen. Er schildert das Schicksal von neun jüdischen Sammlern und dem Verbleib ihrer Werke während und nach dem Krieg. Dazu gehört der Verbleib der Sammlung Göring oder die Ungeheuerlichkeit, wie NS-Raubkunst, von Konrad Adenauer gekauft und ins Bundespräsidialamt gelangt, bis 2007 unentdeckt blieb. Die Recherche des Autors ist überwältigend, er untermauert seine Argumentation durch Gespräche, die er mit vielen Beteiligten geführt hat, er zitiert aus offiziellen Anschreiben, Privatbriefen, druckt einschlägige Bestandslisten von Museen ab.
Ob im Besitz großer Museen in Köln oder der Stadt München, die einhellige Reaktion ist bis heute: Diese Bilder seien Eigentum, die Angelegenheit verjährt. Von Restitution der Raubkunst ist keine Rede. Der Schweizer Sammler Ernst Beyeler etwa, Gründer des renommierten Privatmuseums "Fondation Beyeler" in Basel, lenkte erst nach einem Jahrzehnt ein: Das Gemälde "Improvisation 10" des Expressionisten Wassily Kandinsky hatte den Lissitzkys gehört - bis zur Beschlagnahmung des "entarteten" Werks 1937. Der Sohn von Sophie Lissitzky forderte es zurück. Beyeler wollte nichts davon gewusst haben. Dabei, so Koldehoff, prangte auf dem Werk das eindeutige "EK": das Inventar-Kürzel der Nazis für "Entartete Kunst".
Gemäß der in der Washingtoner Erklärung formulierten Selbstverpflichtung sollen Museen die Herkunft jedes einzelnen Werks ihres Bestands zu überprüfen - allein, es fehlt das Personal. Heutzutage "als Händler oder Sammler die Herkunft eines Kunstwerks nicht sorgfältig zu recherchieren oder sie bewusst zu verschleiern, bedeutet nichts anderes, als die Opfer der Nationalsozialisten ein zweites Mal zu berauben und sich Jahrzehnte nach Kriegsende noch zu Mittätern zu machen", erklärt Koldehoff mit Verve. Es klingt nicht wie ein simples Fazit. Es ist ein Apell.
Stefan Koldehoff:
Die Bilder sind unter uns. Das Geschäft mit der NS-Raubkunst.
Eichborn Verlag, Frankfurt 2009; 288 S., 22,95 ¤