FINANZEN
Koalition will vor dem Bankrott stehende Geldhäuser notfalls zerschlagen. Länder wehren sich gegen EU-Aufsicht: »Außerhalb demokratischer Verfahren«
Die Krise darf sich nicht wiederholen", stellt der neue Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) fest und dürfte damit keinen Widerspruch ernten. Da sich dieses Ziel allein mit Worten nicht erreichen lässt, basteln deutsche und europäische Politiker an einer neuen und besseren Aufsicht über Banken, Fonds, Versicherungen und Ratingagenturen. Am weitesten gehen die Vorschläge der neuen Koalition aus Union und FDP: Sollte ein systemrelevantes Bankhaus zum Problem für den Staat werden wie etwa die Hypo Real Estate (HRE), soll es zerschlagen werden können. Auch die EU-Kommission will neue und mächtige Finanzaufsichtsbehörden schaffen, was dem Bundesrat aber gar nicht gefällt.
"Das wird eine der ersten Aufgaben sein, denen ich mich in den nächsten Tagen widmen werde", sagte Schäuble zur Umstrukturierung der Finanzaufsicht - wenige Tage nachdem er das Finanzministerium von Vorgänger Peer Steinbrück (SPD) übernommen hatte. Kurz nach Ausbruch der Krise war deutlich geworden, dass es in Deutschland ein Nebeneinander von Aufsichtsbehörden gibt. Sowohl die von Weisungen der Bundesregierung unabhängige Deutsche Bundesbank als auch die dem Finanzministerium unterstehende Bundesanstalt Finanzdienstleistungen (BaFin) nehmen Kontrollen im Finanzsektor vor. Das soll geändert werden: "Wir werden die Finanzaufsicht in Deutschland bei der Deutschen Bundesbank zusammenführen", heißt es im Koalitionsvertrag dazu. Die Unabhängigkeit der Bundesbank werde durch die neuen Zuständigkeiten nicht berührt, versichern Union und FDP.
Für den Fall, dass sich Fälle wie die HRE oder Fast-Pleiten wie die einiger Landesbanken wiederholten sollten, holt die Koalition den ganz großen Hammer raus: "Wir wollen verhindern, das Staaten in Zukunft von systemrelevanten Instituten zu Rettungsmaßnahmen gezwungen werden können. Wir werden daher geeignete rechtliche Instrumentarien für ein Restrukturierungs- sowie Abwicklungsverfahren einführen, um zeitlich vor Eintritt einer Insolvenz in Schieflage geratene systemrelevante Unternehmen des Finanzsektors entweder finanzmarktschonend abwickeln oder nachhaltig stabilisieren zu können", schreiben Union und FDP. Zusammengefasst heißt das: Die HRE würde im Wiederholungsfalle nicht mehr mit Steuermilliarden stabilisiert, sondern in die Insolvenz gehen. Auch die Zerlegung marktbeherrschender Unternehmen nicht nur des Finanz- sektors soll ermöglicht werden. So heißt es im kartellrechtlichen Teil des Koalitionsvertrages, in das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen "wird als ultima ratio ein Entflechtungsinstrument integriert".
Auch die Ratingagenturen sollen unter die Fittiche der Kontrolle kommen. Agenturen wie Standard & Poor's, Moody's und Fitch, Megaplayer im Weltfinanzsystem, hatten Unternehmen wie Lehman oder deutsche Landesbanken noch mit Bestnoten bewertet, als denen längst das Wasser bis zum Hals stand. "Die Ratingagenturen sind Schuld an der internationalen Finanzkrise", heißt es deshalb auch im Koalitionsvertrag. Ihnen soll verboten werden, in Zukunft einerseits Bewertungen abzugeben und andererseits selbst Finanzprodukte zu vertreiben.
Überhaupt wollen die Koalitionsparteien das freie Spiel der Kräfte auf dem Finanzmarkt einschränken und besonders den Verkauf von Schrottpapieren, die viele deutsche Banken in eine Schieflage gebracht haben, verhindern: "Denn in Zukunft darf es kein Finanzprodukt, keinen Finanzmarktakteur und keinen Finanzmarkt geben, die nicht reguliert und beaufsichtigt sind", fordern Union und FDP.
Im neuen Kontrollsystem will auch die Europäische Kommission mitmischen: "Die aktuelle Finanzkrise hat Schwächen im EU-Aufsichtsrahmen offenbart, der trotz der erheblichen Fortschritte bei der Finanzmarktintegration und der zunehmenden Bedeutung grenzübergreifend tätiger Unternehmen noch immer national fragmentiert ist", heißt es im "Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die gemeinschaftliche Finanzaufsicht auf Makroebene und zur Einsetzung eines Europäischen Ausschusses für Systemrisiken", mit dem sich der Bundesrat am 6. November befasste. Brüssel will eine ganze Gruppe von neuen Kontrollbehörden schaffen. Kern der neuen EU-Finanzkontrolle wird der Europäische Ausschuss für Systemrisiken (European Systemic Risk Board - ESRB), der eng an die Europäische Zentralbank (EZB) angebunden und die Aufgabe bekommen soll, "Risiken systemischen Ausmaßes zu erkennen und abzuwenden beziehungsweise ihre Auswirkungen auf das Finanzsystem innerhalb der EU einzudämmen". Die Empfehlungen des Ausschusses sollen aber nicht rechtsverbindlich sein.
Daneben plant Brüssel die Schaffung eines neuen europäischen Finanzaufsichtsbehördensystems (ESA). Dabei handelt es sich um die Europäische Bankaufsichtsbehörde (European Banking Authority - EBA), die 80 Mitarbeiter erhalten soll, und die Europäische Behörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung (European Insurance And Occupational Pensions Authority - EIOPA). Sie soll ihren Sitz in Frankfurt am Main haben, wo sich bereits heute eine Art Vorläuferorganisation, der Ausschuss der Europäischen Aufsichtsbehörden für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung (CEIOPS) befindet. Als dritte Einrichtung soll eine Europäische Wertpapieraufsichtsbehörde (European Securities and Markets Authority - ESMA) errichtet werden, die den bislang bestehenden Ausschuss der europäischen Wertpapierregulierungsbehörden ablösen und als eigenständige juristische Person mit einem eigenen Budget und eigenen Entscheidungsbefugnissen versehen werden soll. Die Behörde soll über 90 Mitarbeiter verfügen, ab 2011 einen Etat von 13,66 Millionen Euro bekommen und außerdem für die Kontrolle der Ratingagenturen zuständig sein.
Die vorgesehenen Entscheidungsbefugnisse für die drei Behörden gefallen dem Bundesrat überhaupt nicht. Zwar begrüßten die Länder die Einrichtung des Europäischen Ausschusses ESRB, aber mit den drei Behörden EBA, EIOPA und ESMA, die unter der Sammelabkürzung ESA zusammengefasst werden, hat der Bundesrat Probleme: "Mit dem direkten Weisungsrecht der ESA gegenüber den Finanzinstituten vor Ort (so genanntes Durchgriffsrecht) wird auf europäischer Ebene eine vom Europäischen Rat nicht vorgesehene Befugnis geschaffen", kritisierte die Länderkammer in einer Stellungnahme. Der Rat habe dagegen die Aufsicht allein der nationalen Ebene zugewiesen, was auch dem Subsidiaritätsprinzip entspreche. Mit dem Vertragsverletzungsverfahren besitze die EU bereits ein Verfahren zur Kontrolle des Verhaltens der Mitgliedsstaaten. "Einer zusätzlichen Kontrollbefugnis, die parallel bemüht werden kann, bedarf es nicht", heißt es in der Stellungnahme.
Die Bundesratsausschüsse hatten außerdem kritisiert, dass die EU-Kommission sich die Möglichkeit schaffen wolle, "die Inhalte technischer Standards, die weitreichende Auswirkungen auf den Finanzmarkt haben, außerhalb demokratischer Verfahren festzusetzen". Die Bundesregierung solle daher darauf achten, "dass die Entwicklung der technischen Standards nicht dem demokratischen Gesetzgebungsprozess entzogen wird und unter Beteiligung des Rates und des Europäischen Parlaments erfolgt", fordern die Länder.
Diese Forderung müsste bei der Bundesregierung eigentlich auf offene Ohren stoßen. Im Koalitionsvertrag heißt es zwar, man wolle für eine schnelle Umsetzung der bereits begonnenen Reform der EU-Finanzmarktaufsicht sorgen und setze auf eine Vereinheitlichung der Aufsichts- und Prüfungsstandards in der Gemeinschaft. Aber andererseits heißt es in der Vereinbarung von Unionsparteien und Liberalen auch: "Die nationalen Kompetenzen und das Etatrecht bleiben unberührt."