GESUNDHEIT
Die Koalitionspläne zur Gesundheits- und Pflegereform empören SPD, Linke und Grüne
Schon mit seiner ersten Bundestagsrede ist es dem neuen Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) gelungen, die Opposition auf eine geschlossene Ablehnungsfront gegen seine Rezepte für die Kranken- und Pflegeversicherung einzuschwören: "Wir werden das nicht zulassen", sagte SPD-Fraktionsvize Elke Ferner am 12. November zu den Plänen des neuen Ressortchefs. "Nicht mit uns", kommentierte für die Linksfraktion ihre Gesundheitsexpertin Martina Bunge die Ausführungen Röslers zur Gesundheits- und Pflegereform, und ihre Grünen-Kollegin Birgitt Bender bekräftigte: "Dass es dazu kommt, werden wir nicht zulassen."
Rösler wird die Empörung auf den Oppositionsbänken wenig beeindruckt haben. Die Reformen der Kranken- und Pflegeversicherung seien "vielleicht nicht die einfachsten Aufgaben" für die neue Koalition, sagte er zum Auftakt der Debatte über die künftige Gesundheitspolitik, um an die Adresse der Opposition hinzuzufügen: "Aber wenn es einfach wäre, dann hätten ja auch Sie regieren können."
In seiner Antrittsrede warb der FDP-Politiker für einen grundlegenden Umbau des Gesundheitswesens: Damit künftige Kostensteigerungen im Gesundheitssystem nicht automatisch zu Lasten des Faktors Arbeit gingen, müsse eine "weitestgehende Entkopplung von den Krankenversicherungskosten und den Lohnzusatzkosten" her, forderte er und folgerte: "Deswegen ist es richtig, den sogenannten Arbeitgeberanteil festzuschreiben." Solidarität im Krankenversicherungssystem bedeute, "dass die starken Gesunden den schwächeren Kranken helfen müssen", fügte Rösler hinzu. Dieser Ausgleich gehört auch für ihn in die gesetzliche Krankenversicherung, im Gegensatz zum "Ausgleich zwischen Arm und Reich", der im Gesundheitswesen sozial ungerecht und besser im Steuersystem aufgehoben sei: "Denn im Gesundheitswesen gibt es einen einheitlichen Beitragssatz von 14,9 Prozent, und die Solidarität endet bei der Beitragsbemessungsgrenze. Im Steuersystem hingegen wird jeder mit all seinen Einkünften nach seiner Leistungsfähigkeit besteuert", argumentierte er.
Zugleich fand der Minister es "dringend an der Zeit", das Umlageverfahren in der Pflegeversicherung um eine kapitalgedeckte Zusatzversicherung zu ergänzen. Solidarität in der Pflege bedeute, "dass die Jungen den Älteren helfen", doch sei neben Solidarität auch Gerechtigkeit nötig: "Deswegen ist es richtig, die Pflegeversicherung endlich generationengerechter auszugestalten als bisher."
SPD-Fraktionsvize Ferner warf der Koalition vor, das "solidarischste Sozialversicherungssystem, das wir haben, dem Ellenbogenprinzip preisgeben" zu wollen. Schwarz-gelb wolle das Risiko, krank oder pflegebedürftig zu werden, "Schritt für Schritt privatisieren", kündige mit dem Einfrieren des Arbeitgeberbeitrags das Prinzip der paritätischen Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung auf und gehe "den Weg in die Dreiklassenmedizin". Dabei werde das untere Drittel der Gesellschaft zu "Bittstellern, um die von Ihnen geplante unsoziale Kopfprämie überhaupt bezahlen zu können". Das zweite Drittel könne "vielleicht gerade noch am medizinischen Fortschritt teilhaben", während die privat Versicherten "im Erste-Klasse-Wartezimmer mit schneller Terminvereinbarung" Platz nähmen. Ferners Fazit: "Sie sind ganz klipp und klar ein Sicherheitsrisiko für unseren Sozialstaat."
Bunge warf der Koalition "die Aufkündigung der Solidarität" vor: Durch die "Kopfpauschale in der gesetzlichen Krankenversicherung und durch den Kapitalstock in der Pflegeversicherung" werde die Zeche allein den Versicherten und Patienten aufgebürdet, was ein "sozialpolitischer Skandal" sei. "Neoliberalismus pur", urteilte Bunge für die Linksfraktion und konstatierte: "Der Verachtung des Staates stellen Sie die Vergötterung des Marktes gegenüber."
Ähnlich drastisch äußerte sich die Grünen-Abgeordnete Bender. Das von Rösler angestrebte Gesundheitssystem werde für viele Menschen nicht mehr bezahlbar sein, warnte sie und attestierte der Koalition eine "Umverteilung von unten nach oben - man kann auch sagen: Klassenkampf von oben". "Ihre Kopfprämie", kritisierte die Grünen-Politikerin, "ist eine Abwrackprämie für das Solidarsystem".
Der gesundheitspolitische Sprecher der Unions-Fraktion, Jens Spahn (CDU), hielt der Opposition im Gegenzug ein "Denken in linken Überschriften der '80er Jahre" vor. Im schwarz-gelben Koalitionsvertrag sei die "nötige Ausgewogenheit zwischen wirtschaftlicher Vernunft und sozialer Gerechtigkeit enthalten", versicherte Spahn und wertete den "Einstieg in die ergänzende Kapitaldeckung in der Pflegeversicherung" sowie in die lohnunabhängige Finanzierung des Gesundheitswesens als "wichtige Paradigmenwechsel".