INNERES
Der neue Ressortchef lädt die Opposition zur Zusammenarbeit ein.
Die findet den schwarz-gelben Koalitionsvertrag allerdings nur wenig einladend
Der "Taktgeber der vergangenen vier Jahre" in der Innenpolitik, wie der Grünen-Abgeordnete Wolfgang Wieland am 11. November im Bundestag den bisherigen Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) nannte, hat das Ressort gewechselt; statt seiner eröffnete sein Nachfolger Thomas de Maiziere (CDU) an diesem Tag die Debatte über die innenpolitische Agenda der neuen Legislaturperiode. Dass er dabei eine andere Tonart als sein Amtsvorgänger anschlug, bescheinigten ihm anschließend auch Linksfraktion und Grüne: "Schönerweise" habe der neue Ressortchef "kein Stakkato mehr" vom Bundeswehreinsatz im Inneren über den Abschuss von Passagierflugzeugen bis zur Liquidierung von Terrorverdächtigen geliefert, sagte Wieland zur vorherigen Antrittsrede de Maizieres. Für die Linksfraktion attestierte ihr Abgeordneter Jan Korte dem Minister, im Gegensatz zu Schäuble "keine Weltuntergangsstimmung" zu verbreiten und "keine so markigen Reden" zu halten.
In der Tat hatte de Maiziere zum Auftakt der Debatte nicht nur ausdrücklich seine Bereitschaft zu "sehr guter, offener Zusammenarbeit" auch mit der Opposition bekundet -"jedenfalls so lange die Opposition dies wünscht" -, sondern auch betont, dass Gefahrenabwehr und Strafverfolgung "nicht zuallererst der Erlass von Gesetzen" seien: "Wenn es nötig ist, sollten wir neue Gesetze für mehr Sicherheit erarbeiten. Wenn es nicht nötig ist, sollten wir es lassen", sagte der CDU-Politiker. Zugleich kündigte der frühere Kanzleramtsminister an, auf die Bedrohung durch den internationalen Terrorismus "weiterhin besonnen und entschlossen" zu reagieren: "Wir bleiben wachsam, aber wir fürchten uns nicht", versicherte de Maiziere und erinnerte daran, dass eben letzteres von den Terroristen beabsichtigt sei.
Deutschland, sagte der Ressortchef, sei eines der sichersten Länder der Welt: eine hohe Aufklärungsrate, eine seit Jahren rückläufige Kriminalitätsentwicklung. Dass gleichwohl viele Menschen den Eindruck haben, die Bedrohung durch Kriminalität habe zugenommen, führte de Maiziere auf Faktoren wie ein hohes Maß an Mobilität, Flexibilisierung und Anonymität in den großen Städten zurück. Sie trügen dazu bei, dass "viele Menschen in ihrem gewohnten Umfeld weniger miteinander vertraut sind und zum Teil ihre eigenen Nachbarn nicht mehr richtig kennen", konstatierte der Minister und warb für Strukturen, die die Bürger "ermutigen, sich in einem überschaubaren Rahmen zusammen für etwas einzusetzen". "Wir sollten", fügte de Maiziere hinzu, "unsere öffentlichen Räume, unsere Plätze, unsere Bahnhöfe, unsere Waggons nicht noch mehr entmenschlichen. Kameras sind gut und notwendig. Menschen sind allemal besser".
Neben der inneren Sicherheit nannte der CDU-Politiker den Datenschutz und die Integration als weitere Schwerpunktthemen seines Hauses. Dabei kündigte er an, im kommenden Jahr einen Entwurf für ein Arbeitnehmerdatenschutzgesetz vorzulegen. Auch wolle er die Islam-Konferenz fortsetzen und diesen Dialog vertiefen: "Der Islam als Religion ist in Deutschland herzlich willkommen, Islamismus als Extremismus nicht", unterstrich der Innenminister.
Dass mit dem Regierungswechsel wieder sein Ministerium für die deutsche Einheit zuständig ist, wertete de Maiziere als "glückliche Fügung" und zeigte sich zuversichtlich, dass bis 2019 gleichwertige Lebensverhältnisse in Ost und West geschaffen werden können: "Es geht um eine gemeinsame Entwicklung in und für Deutschland und unsere Zukunft, und das unter Achtung unserer jeweiligen Biografien", sagte er.
Das Thema "Aufbau Ost" griff für die SPD die frühere brandenburgische Sozialministerin Dagmar Ziegler auf, die der neuen Bundesregierung vorhielt, "kein politisches Gesamtkonzept für Ostdeutschland" zu haben. Vielmehr gefährde die Regierung "mit ihrer Politik der sozialen Spaltung das Ziel der sozialen Einheit" des Landes und mache etwa beim Thema Mindestlohn mit der schwarz-gelben Politik "Billiglöhne im Osten zum Programm".
Kaum ein gutes Haar am schwarz-gelben Koalitionsvertrag ließen in der Debatte auch die anderen Oppositionsvertreter. SPD-Fraktionsvize und Ex-Arbeitsminister Olaf Scholz gab sich zwar überzeugt, mit dem bisherigen Kanzleramtschef de Maiziere wie bisher gut zusammenzuarbeiten, vermisste aber in dem Koalitionsvertrag "eine Linie in der künftigen Innenpolitik". Nachdrücklich mahnte er ein "Anerkennungsgesetz" an, mit dem es für Migranten einen Rechtsanspruch geben soll, im Ausland erworbene Qualifikationen auch hierzulande einsetzen zu können, und forderte eine schnelle Regelung beim Bleiberecht für Betroffene, die zum Jahreswechsel nicht die Voraussetzungen zur Sicherung ihres Aufenthaltsstatus erfüllen könnten.
Entschieden sprach sich Scholz zudem dafür aus, die Optionsregelung im Staatsangehörigkeitsrecht zu streichen - eine Forderung, hinter die sich auch der Grünen-Innenexperte Wieland stellte. Der "Optionszwang", wonach sich in der Bundesrepublik geborene Kinder nichtdeutscher Eltern bei Volljährigkeit zwischen deren Staatsangehörigkeit und der deutschen entscheiden müssen, stelle "die jungen Ausländer nämlich vor eine Frage, die sie nicht beantworten können und wollen", argumentierte Wieland. Der FDP warf er vor, bei den Bürgerrechten eine "herbe Enttäuschung" zu sein.
Ähnlich äußerte sich der Linke-Abgeordnete Jan Korte, der beklagte, dass die Online-Durchsuchung von Computern ebenso bleibe wie die Vorratsdatenspeicherung. "Wir hätten uns mehr gewünscht von Ihnen", sagte Korte an die Adresse der Freidemokraten. Seine Bilanz des Koalitionsvertrages: "Im Ton moderat, aber an der harten Law-and-Order-Politik der CDU, die den Bürgerrechten entgegensteht, ändert sich überhaupt nichts.".
Zugleich forderte Korte den Minister auf, als "echtes Zeichen für eine Kehrtwende in der Innenpolitik" die "unsägliche" Beobachtung der Linkspartei durch den Verfassungsschutz zu beenden. Kortes Fraktionskollegin Ulla Jelpke warf der Regierung vor, sie wolle "die notwendigen Programme gegen Rechtsextremismus schwächen und ausdünnen", die "irgendwie auf jede Form des Extremismus ausgedehnt werden" sollten. "Wer den Kampf gegen den Rechtsextremismus verwässert und schwächt, handelt brandgefährlich", warnte Jelpke.
Für den CDU-Abgeordneten Reinhard Grindel dagegen "kommt es auf den Kampf gegen jede Form von Extremismus an". Er verwies auf Äußerungen der Leiterin des Berliner Verfassungsschutzes, wonach bei der Partei Die Linke Tendenzen zunähmen, "mit militanten linken Gruppierungen gemeinsame Sache zu machen". Der Linke-Abgeordneten Inge Höger hielt er vor, Brandanschläge auf Bundeswehrfahrzeuge gerechtfertigt und dafür Verständnis geäußert zu haben. "Wer so etwas Unmögliches tut, der darf sich nicht wundern, wenn der Verfassungsschutz genau hinschaut", fügte Grindel hinzu.
Für die FDP-Fraktion wies ihre Innenexpertin Gisela Piltz die Oppositionskritik an der Koalitionsvereinbarung mit Nachdruck zurück. Die Liste der von SPD, Grünen und Union zu verantwortenden Bürgerrechtseinschränkungen der vergangenen Legislaturperioden werde nicht verlängert, versicherte sie: "Im gesamten Koalitionsvertrag werden Sie keine Pläne für weitere Einschränkungen der Bürgerrechte finden". Vielmehr werde man das BKA-Gesetz überarbeiten und den Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung stärken. Vereinbart sei auch, die Internetsperren zunächst für ein Jahr auszusetzen.
Auch wolle man das Internet "für die demokratische Teilhabe" nutzten, kündigte Piltz an: "Deshalb werden wir das Petitionsrecht zu einer Art virtuellen Volksinitiative ausbauen".