BRANDENBURG
Warum Platzeck den Partner wechselt
Fast schon trotzig reagiert Brandenburgs Ministerpräsident und SPD-Landeschef Matthias Platzeck auf die Frage, warum er ausgerechnet zum 20. Jahrestag des Mauerfalls ein Bündnis mit der Linkspartei eingegangen ist. "Ich halte 20 Jahre danach für einen guten Zeitpunkt, Fragen der Geschichte noch einmal aufzurufen und zu Ende zu diskutieren", so Platzeck. In den Tagen um das Wendejubiläum musste sich der 55-Jährige, der selbst aus der DDR-Bürgerbewegung kommt, wegen Rot-Rot permanent rechtfertigen. Immer wieder wurde ihm ein Tabubruch und auch Verrat an der Revolution von 1989 vorgeworfen. In Hunderten E-Mails und Briefen an die Staatskanzlei hagelte es Kritiken und sogar Beschimpfungen.
Dabei war es seit dem Wahlkampf im Sommer gut für die brandenburgische SPD gelaufen. Platzeck führt einen der wenigen von bundespolitischen Tiefschlägen verschonten SPD-Landesverbände. Während die Bundes-SPD bei der Wahl am 27. September dramatisch abstürzte, konnte die SPD beim zeitgleichen Urnengang fürs Landesparlament in Brandenburg ihre Spitzenstellung noch ausbauen und wurde mit 33 Prozent der Stimmen stärkste Partei vor den Linken mit 27,2 Prozent. Diesen Wahlsieg verdankt die SPD vor allem Platzeck. Er füllt die von Manfred Stolpe übernommene Landesvaterrolle perfekt aus, zeigt sich bodenständig, heimatverbunden und ist in Umfragen seit Jahren der beliebteste Politiker.
Dass Platzeck in dieser Situation die Linke favorisierte, überraschte die Öffentlichkeit, die eigene Partei und die politischen Gegner gleichermaßen. Kaum jemand hätte ihm im Land verübelt, wenn er mit den Christdemokraten auch nach zehn Jahren weiterregiert hätte, obwohl die chronisch schwache CDU am 27. September erneut nur auf 19,8 Prozent der Stimmen gekommen war.
Platzecks Schwenk zu Rot-Rot hat eine Reihe von Gründen - landespolitische wie handfeste parteitaktische. Dass nun - 20 Jahre nach der Wende - der Tag der Aussöhnung mit den SED-Nachfolgern gekommen ist, wie Platzeck behauptet, dürfte dabei eher zweitrangig gewesen sein. Die Linkspartei ist in Brandenburg als Oppositionspartei seit langem gesellschaftlich eingebunden und kommunalpolitisch fest verankert. Und selbst in der Stasi-Debatte gibt es längst differenzierte Sichtweisen.
Für die SPD-Spitze um Platzeck stellte sich zunehmend die Frage, wie der Höhenflug der immer stärker werdenden Linkspartei gestoppt werden kann. Die Gefahr, bei der nächsten Landtagswahl abgehängt zu werden, bereitete führenden Sozialdemokraten schlaflose Nächte. "Entzaubern durch Mitregieren" war eine Losung. So wurde die Linke nicht nur ins Regierungsboot geholt, sondern bekam mit dem Finanz- und dem Wirtschaftsressort auch gleich noch strukturpolitische Verantwortung. Dass das Ganze auch ein bundesweiter Testlauf sein soll, wird zwar offiziell bestritten, liegt aber auf der Hand.
Ein anderer Grund für das Zusammengehen von SPD und Linken ist zweifellos auch in der Schwäche und Zerrissenheit der CDU zu sehen. Es grenzt an politische Ironie: Während die Brandenburger SPD derzeit als einzige dem Negativtrend ihrer Bundespartei trotzt, vermochte es die märkische CDU bei der jüngsten Doppelwahl abermals nicht, vom Aufwärtstrend der Union im Bund zu profitieren. Brandenburgs CDU wird nach jahrelangen Querelen als zerstritten, schwach und inhaltsleer wahrgenommen. Die neue Landesvorsitzende und jetzige Landtagsfraktionschefin Johanna Wanka hat ein schweres Erbe übernommen. Sie konnte nicht glaubhaft machen, dass sie die Partei wirklich geeint hat. In der SPD blieb man misstrauisch angesichts widerstrebender Meinungen einzelner CDU-Spitzenleute und attestierte Wanka Führungsschwächen.
Die hauptsächliche Begründung des Ministerpräsidenten für den Wechsel des Koalitionspartners ist die der größeren politischen Schnittmengen. Hier gibt es tatsächlich Übereinstimmungen, die Platzeck, der den vorsorgenden Sozialstaat propagiert, wohl überzeugt haben. Vor allem in der Bildungs- und Sozialpolitik gibt es kaum Unterschiede. Dass es gelang, den Linken das Zugeständnis abzutrotzen, an der Verstromung von Lausitzer Braunkohle festzuhalten, gilt als großer Sieg der SPD und zeigt, wie wichtig den Linken nach 19 Jahren das Mitregieren ist.
Freilich ist das rot-rote Bündnis noch nicht aus der Gefahrenzone, auch wenn Parteitage den Koalitionsvertrag ohne nennenswerte Karambolagen abgesegnet haben und Platzeck am 6. November im Landtag mit klarer Mehrheit zum Regierungschef gewählt wurde. Das sich bereits abzeichnende Problem ist der Versuch der Linken, ein bisschen Opposition auch in der Regierung bleiben zu wollen - etwa bei den Tagebauen, gegen die man noch vor einem Jahr protestiert hatte. Von Koalitionskrise will in der SPD noch keiner sprechen, aber von "Absetzbewegungen", die genau beobachtet werden müssten.