SAARLAND
Der Koalitions-Coup hält den Ministerpräsidenten im Amt, der aber große Zugeständnisse an die Grünen machen muss. Die Opposition
kritisiert »Jamaika-Korruption«
Im Saarlouiser "Humpen" hat Hubert Ulrich viele schöne Stunden verbracht. Seiner Stammkneipe dankt es der Matador der Saar-Grünen indes nicht, dass er dort bislang von der freien Atmosphäre einer Gaststätte ohne Rauchverbot profitiert hat: Seine bei der Landtagswahl mit gerade mal 5,9 Prozent ausgestattete Partei hat in der Jamaika-Koalition die Einführung des bundesweit repressivsten Rauchverbots mit der Beseitigung aller Ausnahmen in der Gastronomie durchgesetzt. Auch Christoph Hartmanns FDP, die eine Liberalisierung propagiert und Lokalbetreibern die Entscheidung über Rauchen oder Nichtrauchen überlassen wollte, ist eingeknickt. Im "Humpen" wird bald Schluss mit lustig sein.
Der weitreichende Eingriff ins Alltagsleben der Saarländer ist nicht das einzige Beispiel für ein bemerkenswertes Charakteristikum der republikweiten Jamaika-Premiere: Die kleinste Fraktion drückt diesem Bündnis weithin den Stempel auf. "Außerordentlich" zufrieden zeigt sich Ulrich, die Grünen hätten "90 Prozent" ihrer Anliegen realisiert.
So legte CDU-Ministerpräsident Peter Müller in der Innenpolitik eine 180-Grad-Kehrtwende hin und erklärte sich im Sinne von FDP und Grünen bereit, die Videoüberwachung einzuschränken, die Kfz-Kennzeichenerfassung abzuschaffen und auf online-Durchsuchungen zu verzichten. Der Bau größerer Kohlekraftwerke soll verhindert werden.
Ein CDU-Parteitag billigte den Koalitionsvertrag einmütig, gleichwohl wurde Unmut wegen der Zugeständnisse laut. In der Bildungspolitik, monierte der Illinger Bürgermeister Armin König, zeige man "plötzlich eine Flexibilität, die früher undenkbar erschien". Ein Erststudium wird gebührenfrei gestellt, die Grundschulzeit wird verlängert, neben dem Gymnasium wird als zweite Säule eine Gemeinschaftsschule geschaffen. Kritiker in der CDU sehen langfristig den Bestand des Gymnasiums in Gefahr. Für die Gemeinschaftsschule ist freilich eine Verfassungsänderung vonnöten, und dazu will SPD-Fraktionschef Heiko Maas "keinen Persilschein" ausstellen.
Müller spricht von einem "dauerhaften, stabilen Bündnis". Die erste Bewährungsprobe hat geklappt: Alle 27 Koalitionsabgeordneten kürten Müller zum Regierungschef. Dass sich der CDU-Politiker nach dem Verlust von 13 Prozent bei der Wahl im Amt hält, darf als Kunststück gelten: Zunächst schien alles auf Rot-Rot-Grün zuzulaufen, in dieser Konstellation hätte Ulrichs Partei noch mehr erreichen können, etwa ein Tariftreuegesetz bei öffentlichen Aufträgen.
Doch auch personell ließ sich Müller nicht lumpen. Den Grünen fielen mit Bildung und Umwelt zwei Ressorts zu - Ulrich selbst wechselt nicht ins Kabinett, er verspricht sich als Fraktionschef einen größeren Einfluss. Natürlich hat die FDP (9,2 Prozent) ebenfalls zwei Ministerien beansprucht, für den Vorsitzenden Hartmann Wirtschaft, für Arbeitgeberfunktionär Georg Weisweiler Gesundheit. Der CDU, mit 34,5 Prozent doppelt so stark wie die kleinen Partner zusammen, verbleiben neben Müller lediglich vier Kabinettsposten. Und dies auch nur, weil die Zahl der Ressorts von sieben auf acht aufgestockt wurde. Ursprünglich planten die Jamaikaner sogar neun Ministerien, was aber angesichts des überschuldeten Etats auch an der Basis von CDU und FDP auf Widerstand stieß. Jetzt ist Müller noch Justizminister, was den Richterbund um die Gewaltenteilung fürchten lässt.
Warum aber zogen die Grünen trotz programmatischer Nähe zu SPD und Linken Jamaika vor? Ulrich begründet die Absage an Rot-Rot-Grün so: Wegen Oskar Lafontaine und zweier einst im Streit von den Grünen geschiedener und jetzt bei der linken Fraktion beheimateter Abgeordneter fehle dieser Partei die nötige Zuverlässigkeit. Lafontaine jedoch wettert, die neue Regierung sei "keine Koalition, sondern Jamaika-Korruption": Der Linken-Vormann spielt damit auf berufliche Verquickungen Ulrichs mit der saarländischen Wirtschaftsgröße und grauen FDP-Eminenz Hartmut Ostermann an, weswegen auch die SPD Ulrich als "fremdgesteuert" einstuft.
Der Fraktionschef (9.500 Euro Diät monatlich) wurde bis Oktober jahrelang bei einer Softwarefirma, zu deren Eigentümern Ostermann gehört, mit einem Nebenjob (1.500 Euro) geführt. Das FDP-Schwergewicht und der Grüne saßen gemeinsam bei den Koalitionsverhandlungen. Ulrich sagt, seine berufliche Nebentätigkeit habe nichts mit der Entscheidung für Jamaika zu tun. "Anfeindungen" und "persönliche Angriffe" seien nichts anderes als "Diffamierungen". Ulrich lässt es offen, ob die Grünen von Ostermann Spenden erhalten haben und zieht sich darauf zurück, dass die Namen von Parteispendern erst bei über 10.000 Euro genannt werden müssen.
Doch die Verbindung zu Ostermann sorgt auch in Teilen der Parteibasis für Unruhe, die noch andere Ursachen hat. Die Saarbrücker Grünen werfen der Parteispitze "undemokratisches und autoritäres" Verhalten vor, man habe Jamaika-Gegner "mundtot" machen wollen. Vor dem Konvent, der den Koalitionsvertrag mit großer Mehrheit abgesegnet hat, waren vom Stadtverband Merzig Kritiker des neuen Bündnisses als Delegierte unter Verstoß gegen die Satzung abgewählt worden. Ulrichs Hausmacht in Saarlouis stellt über ein Drittel der Parteitagsdelegierten: Von landesweit 1.300 Mitgliedern sind allein 450 in dieser Stadt beheimatet, Vergleichbares existiert bei keinem anderen Landesverband. Mit den internen Vorgängen bei den Saar-Grünen befasst sich derzeit der Bundesvorstand.