Eine eindeutige Linie des Bundesverfassungsgerichts zeichnete sich während der Verhandlung nicht ab. Letztlich, so das Fazit des Vizepräsidenten Winfried Hassemer, gehe es um die "angemessene Abwägung zwischen Freiheit und Kontrolle". Das neue Gesetz sieht vor, dass Parlamentarier ihre Nebeneinkünfte und Einnahmen aus anderen Tätigkeiten offen legen müssen. Mit der Verschärfung der Veröffentlichungspflicht hatte die damalige Mehrheit der Bundestagsmitglieder aus SPD und Grünen für mehr Transparenz sorgen wollen.
Die Kläger kommen aus verschiedenen Fraktionen. Friedrich Merz, Siegfried Kauder und Marco Wanderwitz gehören der CDU an, Wolfgang Götzer und Max Straubinger der Schwesterpartei CSU. Hans-Joachim Otto, Sybille Laurischk und Hans-Heinrich Kolb sind Mitglieder der FDP-Fraktion. Peter Danckert ist der einzige SPD-Mann unter den Beschwerdeführern.
Sie alle sehen in der Veröffentlichungspflicht einen Eingriff in ihre im Grundgesetz garantierte Freiheit als Abgeordnete und befürchten, dass das Parlament künftig zu einem reinen Beamten- und Funktionärsparlament zu werden drohe. Für Unternehmer oder Freiberufler schließe die Publizitätspflicht die Annahme eines Abgeordnetenmandats nahezu aus.
Nach den neuen Vorschriften müssen Abgeordnete künftig in drei Stufen angeben, ob sie zwischen 1.000 und 3.500, bis 7.000 oder mehr als 7.000 Euro im Monat neben ihren Diäten verdienen. Mit Berufung auf das anhängige Verfahren hat Bundestagspräsident Norbert Lammert die veröffentlichungspflichtigen Angaben jedoch noch nicht publiziert. Normalerweise müssen die Daten binnen eines halben Jahres nach der Wahl veröffentlicht werden. Das wäre Ende März gewesen.
Kläger Heinrich Kolb (FDP), der zusammen mit seinem Bruder einen mittelständischen Familienbetrieb führt, sagte: "Wenn Nebeneinkünfte Einfluss auf mein Mandat haben könnten, bin auch ich für Transparenz. Aber ich sehe keinen Grund, warum ich die Einkünfte aus meinem Unternehmen veröffentlichen soll." Die Angaben könnten sogar Auswirkungen auf Bankkredite haben und Wettbewerbsnachteile mit sich bringen. Für Unternehmer werde es mit den Regeln ungleich schwerer, sich um ein Mandat zu bewerben. Für das Parlament sei es kontraproduktiv, weil dann Politiker fehlten, die selbst erfahren haben, wie Arbeitsplätze geschaffen oder gesichert werden könnten.
Die meisten Kläger sind wie Friedrich Merz Rechtsanwälte. Der frühere CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende argumentiert, die weitere Ausübung eines Berufs neben der Abgeordnetentätigkeit erhöhe eher die Unabhängigkeit von Partei und Fraktion. Mit der neuen Regelung ist auch festgelegt, dass das Mandat den "Mittelpunkt" der beruflichen Tätigkeit bilden muss. Merz gab ganz unumwunden zu, dass er die Hälfte seiner Zeit für seine Tätigkeit als Anwalt und seine Mandate in Aufsichtsräten brauche.
Auch Siegfried Kauder ist der Auffassung, dass das Gesetz eine große Hürde für Unternehmer und Freiberufler darstellt. Er gibt zu bedenken: "Wenn der Gebrauchtwagenhändler gezwungen wird, seine Umsätze als Einkünfte offen zu legen, wird er es sich zweimal überlegen." Bundestagsvizepräsidentin Susanne Kastner (SPD) teilt diese Einwände und hält das Gesetz in "einigen Bereichen für nachbesserungsbedürftig". Sie betonte: "Sicher dürfen die Einkünfte von Abgeordneten öffentlich diskutiert werden, aber nicht ihre Nebeneinkünfte in ihrer Rolle als Unternehmer, die einen Betrieb führen. Das führt zu Wettbewerbsverzerrungen."
Der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD, Olaf Scholz, war sich hingegen "sicher, dass das Bundesverfassungsgericht diese Veröffentlichungspflicht im Grundsatz gestatten wird".
Bündnis 90/Die Grünen sprechen sich seit langem ohne Abstriche für die geltenden Regelungen aus. "Wir haben mit den neuen Verhaltensregeln den Weg zu mehr Transparenz bei den Nebeneinkünften geschaffen. Die Bürgerinnen und Bürger haben ein Recht auf die Offenlegung der Angaben. Sie haben einen Anspruch darauf zu wissen, ob politische Entscheidungen unbeeinflusst von wirtschaftlichen Inte-ressen gefällt werden", bekräftigte der Grünen-Fraktionsgeschäftsführer Volker Beck gegenüber dieser Zeitung. Die Grünen erwarten, dass die neuen Regelungen vom Bundesverfassungsgericht als verfassungskonform eingestuft werden.
In Karlsruhe wurde die Mehrheit der Bundestages durch den Bundestagspräsidenten vertreten. Norbert Lammert hält das Gesetz vom Sommer 2005 zwar für verfassungskonform, ist aber nicht davon überzeugt, dass alle Vorschriften im Detail gelungen sind. Das Parlament wäre sicherlich für "orientierende Hinweise des Gerichts" dankbar, sagte er und deutete damit auch seine schwierige Position an. Als Bundestagsvizepräsident und Mitglied der CDU/CSU-Fraktion hatte er vergangenen Sommer gegen das Gesetz gestimmt.
Auch der Prozessbevollmächtigte des Deutschen Bundestages, Professor Ulrich Battis, sagte gegenüber "Das Parlament", dass es bei der Umsetzung des Gesetzes "Ungereimtheiten" gebe. Es sei beispielsweise nicht nachzuvollziehen, warum ein Einzelanwalt sich "völlig nackig" machen müsse, während ein Anwalt in einer Rechtsanwaltsgesellschaft sehr viel weniger Informationen preisgeben müsse.
Battis glaubt allerdings, dass das Gesetz bei verfassungsgemäßer Auslegung grundsätzlich beanstandungsfrei wäre. "Wer ein solches Mandat inne hat, hat auch besondere Pflichten", machte der Verfassungsrechtler klar. In einer Demokratie gebe es eine Offenlegungspflicht und die Frage, woher neben den Diäten für die Abgeordneten sonst noch Geld fließe, müsse beantwortet werden. Es sei jedoch, so Battis, ein Armutszeugnis, dass die Bundestagsabgeordneten sich nicht selbst "vernünftige und praktikable" Regeln in dieser Frage gegeben hätten und sich nun ein Teil der Parlamentarier im Nachhinein genötigt fühle, das Bundesverfassungsgericht anzurufen. "Das ist wie bei kleinen Kindern, die zur Mama laufen."
Auch wenn eine große Mehrheit der Bundestagsabgeordneten mehr Transparenz fordert, machen die Abgeordneten im Einzelfall aus ihren Einkünften lieber ein Geheimnis. Nur 109 von 614 Parlamentariern präsentieren diese laut dem Magazin "Der Spiegel" auf den Internetseiten. Am auskunftsfreudigsten sind die Abgeordneten der Linksfraktion, bei denen 50 von 53 Abgeordneten ihre Einkünfte darstellen. Bei der SPD geben 47 von 222 Auskunft über ihre Einnahmen, in der Union sind es sechs von 226 Parlamentariern. Auch die Grünen, die nach wie vor die strengen Regeln der Richtlinien befürworten, sind in der Offenlegung bisher zurückhalten: Nur sechs von 51 Parlamentariern der Fraktion haben ihre Einnahmen veröffentlicht. Einzig die FDP-Abgeordneten fahren in diesem Punkt eine einheitliche Linie: Sie machen generell keine Angaben.
In der Bevölkerung spricht sich hingegen eine große Mehrheit für mehr Transparenz aus. Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa sind neun von zehn Bundesbürgern dafür, dass Berufspolitiker ihre Nebeneinkünfte offen legen.