Veränderungen in der Struktur der Weltwirtschaft bezweifelt kaum noch jemand. Wie diese aber begründet sind, welche Konsequenzen daraus erwachsen, ob dieser Strukturwandel eher positiv oder eher negativ sei, ob wir es mit einem unausweichlichen Sachzwang oder mit einem steuerbaren Prozess zu tun haben, wird heftig diskutiert. Dass weltwirtschaftliche Verflechtung kein neues Phänomen darstellt, sondern mit den chinesischen oder römischen Weltreichen Vorläufer und mit der Globalisierung des 19. Jahrhunderts bis heute wirksame Paten hat, wird sowohl vom französischen Nationalökonomen Daniel Cohen als auch vom amerikanischen Journalisten Thomas Friedman in ihren beiden Büchern hervorgehoben.
In einer instruktiven historischen Skizze legt Cohen dar, in welchen Schritten sich die ökonomische Globalisierung vollzog. An Beispielen wird nachgewiesen, dass Gewinner und Verlierer des globalen Warenaustausches nicht ausschließlich nach Kategorien wie "Ausbeutung" oder "Imperialismus" untersucht werden können. Denn warum etwa sind ehemalige Kolonien wie die USA oder Australien ökonomisch so ungemein erfolgreich, während dies für Afrikas ehemalige Kolonien nicht und für lateinamerikanische Staaten nur eingeschränkt gilt?
Die ethisch-religiöse Erklärung Max Webers, dem zufolge der in den prosperierenden Ex-Kolonien ein einflussreicher Protestantismus den Kapitalismus und damit den wirtschaftlichen Erfolg befördert habe, hält Cohen für nicht stichhaltig. Dies vor allem nicht hinsichtlich islamischer Staaten, denen im Gefolge der Huntingtonschen Formel vom "Kampf der Kulturen" Rückständigkeit infolge der Religion unterstellt werde. Cohen hält dagegen, dass benachbarte islamische und nichtislamische Staaten sich in vergleichbarer ökonomischer Lage befänden. Das Pro-Kopf-Einkommen des überwiegend nicht-islamischen Indiens und des islamischen Pakistans sei vergleichbar, wie auch das des islamischen Indonesiens und der katholischen Philippinen. Rassistische Erklärungsversuche, denen zufolge eine angenommene "Überlegenheit der weißen Rasse" die Vorherrschaft der Europäer begründet, widerlegt Cohen mit Hinweis auf die aus eurozentristischer Perspektive oft ausgeblendeten Weltreiche.
Wenn nicht Rasse oder Religion, was begründet dann den Entwicklungsunterschied zwischen Zimbabwe und den USA, beides ehemalige britische Kolonien? Cohen hat eine brutale Antwort bereit: "Weil durch den Zivilisationskontakt mit den Europäern in den USA, Kanada, Australien und Neuseeland der Großteil der einheimischen Bevölkerung zugrunde ging - während die schwarze Bevölkerung Südafrikas die Kolonialisierung überlebte und zu Hungerlöhnen ausgebeutet werden konnte." An vielen weiteren Beispielen weist Cohen nach, dass es das Fehlen der Entstehung von Kaufkraft war und ist, das eine ökonomische Entwicklung verhindert. Hungerlöhne generieren keine Kaufkraft. Die Armut des "Südens" nütze niemandem, auch nicht den reichen Ländern. Armen Menschen kann man nichts verkaufen - das ist der Kern der Ausgrenzung Afrikas aus der Globalisierung. Er fordert in seiner lesenswerten Abhandlung, die Globalisierung so zu gestalten, dass ihre Versprechungen allen Menschen gelten. Dazu sollen supranationale Institutionen beitragen, die armen Ländern den Anschluss an den internationalen Handel erleichtern.
Für Thomas Friedman, dem solche Kritik an der Globalisierung fern liegt, verändert sich die Welt durch die informationelle Revolution. Sein Buch ist weniger ein in sich geschlossener Text als eine Reihe ausführlicher Reportagen, flüssig und leicht lesbar geschrieben, aber gelegentlich recht geschwätzig. Der Titel ist eine wörtliche Übersetzung des einleuchtenderen Originals: "The World is Flat". Friedman knüpft an die allerorten boomenden "Flat-Rates" an. Die immer billiger werdenden Verbindungen im World Wide Web seien es, die das Tempo der Globalisierung exponentiell beschleunigten. Die Beispiele für diese Entwicklung sind beeindruckend. Amerikanische Steuererklärungen werden im indischen Bangalore erstellt, europäische Ingenieurdienstleistungen in Indonesien berechnet. Arbeitsprozesse werden so zerlegt, dass die einzelnen Schritte jeweils am kostengünstigsten Standort erledigt werden können. Mit anderen Worten wird nicht mehr nur die industrielle Produktion in Billiglohnländer verlagert, sondern zunehmend auch die "intelligente" Arbeit - Planen, Konstruieren, Erfinden.
Der Autor begeistert sich für diese Entwicklung, die er für alternativlos hält. Wer sich an diese Entwicklung nicht anpasse, werde verlieren. Nur in einem Punkt äußert sich Friedman kritisch, nämlich hinsichtlich der Frage nach der für diese Art des Wirtschaftens erforderliche Energie und die ökologischen Folgen der steigenden Verbrennung von Öl und Gas. Die hierzu geäußerten Bedenken führen jedoch nicht zur Skepsis gegenüber der "flachen Welt", obgleich die existenzielle Gefährdung des Fossilkapitalismus doch auf der Hand liegt.
Friedman nutzt sein in den USA millionenfach verkauftes Buch, um seinen Landsleuten die Angst vor der Globalisierung zu nehmen. Als uneingeschränkter Befürworter des Freihandels wendet er sich gegen jeden Protektionismus. Die Amerikaner müssten eben den Wettlauf annehmen. Dies dürfte nicht nur angesichts des wachsenden amerikanischen Außenhandelsdefizites ein optimistischer Ratschlag sein. Denn die aus der "flachen" Welt resultierende tendenzielle Lohnsenkung führt im Sinne Cohens zu Absatzproblemen: Wer immer weniger verdient, kann sich immer weniger kaufen. Zudem ist die Welt keineswegs und auch in absehbarer Zeit nicht "flach", sondern nach wie vor rund. Selbst in den von Friedman immer wieder angeführten Beispielländern Indien und China sind nur Bruchteile der Bevölkerung an der Internet-Globalisierung beteiligt.
Möglicherweise bringt das gerade begonnene 21. Jahrhundert, dessen "Geschichte" Friedman geschrieben haben will, bald ganz andere technische Möglichkeiten als das Internet. Möglicherweise auch gewinnt die politische Bewegung an Macht, die im Sinne Cohens eine andere Globalisierung will. Darüber werden die Historiker des 22. Jahrhunderts berichten.
Daniel Cohen: Globalisierung als politische Herausforderung. Europäische Verlagsanstalt, Hamburg 2006; 211 S., 19,80 Euro.
Thomas L. Friedman: Die Welt ist flach. Eine kurze Geschichte des 21. Jahrhunderts. Suhrkamp-Verlag, Frankfurt am Main 2006; 720 S., 26,80 Euro.