Die Kultusministerkonferenz (KMK) hat einen neuen Präsidenten, und zwar einen, der jüngst republikweit für Staunen sorgte: Jürgen Zöllner, führte bis November 2006 ein vergleichsweise friedliches Leben als stellvertretender Ministerpräsident und Wissenschaftsminister in Rheinland-Pfalz. So lange, bis dem nach einer missglückten Bürgermeisterwahl angeschlagenen Berliner Klaus Wowereit ein Coup gelang: Der dienstälteste Wissenschaftsminister und nach einhelliger Ansicht profilierteste Bildungsexperte der SPD folgte Wowereits Werben, als Bildungssenator nach Berlin zu kommen. Nun trägt Zöllner in einer Stadt ohne Geld und mit einer äußerst schwierigen schulpolitischen Diskussionskultur Verantwortung für 800 Schulen, 13 Hochschulen und 60 Forschungsinstitute. Am Freitag nahm er eine weitere Herausforderung an: Er ist der erste KMK-Präsident nach der Föderalismusreform, die die Länderzuständigkeit für Bildung noch einmal erheblich gestärkt hat.
Bei der Vorstellung seiner Ziele wurde vor allem deutlich, dass er sich als KMK-Präsident bemühen will, die Bildungspolitik der Länder nicht noch stärker auseinanderklaffen zu lassen. "Die Durchlässigkeit ist absolut unverzichtbar", erklärte Zöllner, "wir Kultusminister haben einen Auftrag für gesamtstaatliche Lösungen. Die müssen wir hinbekommen." So gehe es nicht an, dass die Ausbildung des dringend benötigten Lehrernachwuchses in den Ländern nicht nur verschieden geregelt sei, sondern häufig nicht einmal ein Wechsel von einem Land ins andere möglich ist. "Selbst wer der Meinung ist: Ich mache es so und nicht anders", konstatierte Zöllner, "muss akzeptieren und auch anerkennen, dass ein anderer andere Wege geht."
Als Schwerpunkte seiner einjährigen Amtszeit nennt Zöllner die Integration von Kindern nicht deutscher Herkunft, die Auseinandersetzung mit gewaltverherrlichenden Computerspielen sowie einen Ausbau der Exzellenzinitiative. Bei allen drei Punkten will Zöllner neue Ansätze forcieren: In der Integrationsdebatte weg von der Beschränkung auf Sprachförderung und hin zu einer Betrachtung der mit zwei Kulturen verbundenen Chancen anstelle der Probleme. In der Informationstechnologie fordert der zweifache Vater, die Debatte nicht länger Jugendschützern und Juristen überlassen. Auch Bildungsminister seien gefordert, die Auswirkungen stundenlangen Sitzens vor dem Rechner auf das Lernverhalten zu überprüfen und gegebenenfalls über Verbote nachzudenken. Hochschulpolitisch fordert der anerkannte Wissenschaftsexperte, der Kür exzellenter Forschung einen Wettbewerb um die "beste Lehre" folgen zu lassen. Der Elitewettbewerb habe zu einer "enormen Imageaufwertung" der Forschungsleistungen deutscher Hochschulen geführt, sagte Zöllner: "Die Lehre braucht so etwas auch." Zu aktuellen bildungspolitischen Streitpunkten bekennt er, dass er Studiengebühren ebenso ablehnt wie flächendeckende Aufnahmeprüfungen an Hochschulen. Auch den von seiner Vorgängerin und Parteifreundin Ute Erdsiek-Rave (SPD) ins Gespräch gebrachten Eignungstest für alle angehenden Lehrer lehnt er ab. Dem Ruf, ein Querdenker zu sein, wurde Jürgen Zöllner bei seinem
ersten offiziellen Auftritt vor der überregionalen Presse seit Amtsantritt in Berlin allemal gerecht. Der 61-Jährige gilt als Mann des Kompromisses. In Rheinland-Pfalz wurde das besonders deutlich, als nach der Einführung von Studiengebühren in den Nachbarländern aus seiner Ablehnung von Gebühren die so genannt "Landeskinderregelung" wurde: Um einen Ansturm auf "seine" Universitäten aus Hessen und Nordrhein-Westfalen zu verhindern, führte Zöllner dann doch Studiengebühren ein - für alle Erstsemester ohne Hauptwohnsitz in Rheinland-Pfalz. Auch gilt Zöllner als jemand, der lange und gerne im Hintergrund Strippen zieht, bis er an die Öffentlichkeit geht. Eine Kompetenz, die in der KMK von Nutzen sein, aber bei 16 eigenständigen Ministern eine Amtszeit auch schnell ins Endlose führen kann. Über seinen Einfluss unter 16 Landesfürsten macht sich Zöllner in der Öffentlichkeit keine allzu großen Hoffnungen - außer: "An der Tagesordnung werde ich mitschreiben dürfen."
Hätte der 61-Jährige sich nicht in die Grabenkämpfe der Bildungspolitik vorgewagt, könnte er auf einem Universitätssessel ein ruhiges Leben führen: Mit 30 Jahren wurde Zöllner einer der jüngsten Professoren Deutschlands und übernahm einen Lehrstuhl für Molekularbiologie und Gentechnologie. Mit 38 wurde er Vizepräsident der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz, später ihr Präsident. In die SPD trat er 1972 ein. 1991 wurde er Wissenschaftsminister in Rheinland-Pfalz; etwa die Hälfte der Zeit war er auch für Schulen zuständig. Letztere lernte er als zweifacher Vater kennen. Beide Kinder besuchten eine Schulform, der er in Berlin zu bundesweitem Ruhm verhelfen soll: die Gesamtschule. Laut Koalitionsvertrag zwischen SPD und PDS wird der Bildungssenator in einem Pilotversuch überprüfen, ob Kinder bis zur zehnten Klasse nicht doch flächendeckend gemeinsam unterrichtet werden können.