Rechtssicherheit ist ein hohes Gut und das Recht auf Verteidigung einer ihrer vornehmsten Bestandteile. Erst am Ende eines Prozesses, in dem Ankläger und Angeklagter sich begegnen, wird entschieden - und das im Zweifel immer für den Beschuldigten. Über eine Ausnahme von dieser Regel hat der Journalist Robert Birnbaum im Berliner "Tagesspiegel" einen wunderbaren Text geschrieben, für den er am 16. Januar den Medienpreis des Deutschen Bundestags erhielt. Er handelt vom Wesen der Untersuchungsausschüsse. Und schon die Überschrift macht wenig Mut: "Der du hier eintrittst, lasse all Hoffnung fahren!"
Anlass, diese "Anmerkungen zur Dynamik eines parlamentarischen Untersuchungsausschuss" zu Papier zu bringen, war der Visa-Ausschuss, dem sich unter Joschka Fischer im Frühsommer 2005 stellen musste. Birnbaum belässt es in seiner Darstellung nicht bei der Frage über die Vergabe von Einreiseerlaubnissen. Er widmet sich in seinem Beitrag grundsätzlichen Fragen: In welchen Fällen wird die Einrichtung eines aufwändigen Ausschusses eigentlich forciert? Wenn es um folgenreiche Fehler geht - oder wenn das Timing stimmt, die Wahlen nahen, das Thema skandalträchtig ist? Und er stellt die berechtigte Frage, ob ein solcher Ausschuss nicht mehr vom Kontakt seiner Mitglieder mit den Medien als von Recherche und Rekonstruktion lebt. Birnbaum weiß: "Eine dritte Gewalt kämpft immer mit. Der Ausschuss legt bis zur Karikatur die Funktionsmechanismen jener Zwischenwelt aus Schein und Wirklichkeit offen, in der Politik und Medien leben - voneinander, füreinander, gegeneinander."
Es sind auch diese deutlichen Worte, die der Bundestag mit seinem 14. Medienpreis geehrt hat. Angesichts dessen konnte es den anwesenden Journalisten und Abgeordneten gar nicht schwer fallen, Bundestagspräsident Norbert Lammert zu glauben, der erklärte, es gehe mit dem Preis "nicht darum, deutlich zu machen, wie sich der Bundestag die Berichterstattung über ihn vorstellt". Was der 1993 eingeführte Preis allerdings bewirken soll, ist, das doch sehr spezielle Verhältnis von Presse und Politik einmal in den Vordergrund zu stellen, so Lammert. Im Falle Birnbaum ist das nun wohl besonders gut geglückt - und auch der Bundestagspräsident sagte: "Die Entscheidung der Jury hat mir eingeleuchtet". Im Falle von Birnbaums Text, erläuterte Peter Frey, Leiter des ZDF-Hauptstadtstudios und Jury-Vorsitzender in seiner Laudatio, habe außer der klaren Analyse, die trotz aller Kritik ohne Zynismus auskommt auch ihr Verfasser überzeugt. "Robert Birnbaum ist ein geschätzter Kollege, fleißig und immer da, und, zugleich - ein lustiger Vogel. Er fehlt nie, macht auch all die Arbeit, die das Leben als Parlamentskorrespondent so mit sich bringt - und Edelfedern ohne Bodenhaftung sind ihm fremd. Auch das haben wir gewürdigt."
Dabei wäre der Gewürdigte beinahe gar nicht Journalist geworden, wie man bei der Ehrung erfahren durfte. Zwar war es ihm gelungen, nach dem Studium der Sozialwissenschaften einen der begehrten Plätze auf der Hamburger Henri-Nannen-Schule für Journalisten zu ergattern - dort aber verzweifelte er bei jedem Text aufs Neue beinahe daran, den Anfang, den berühmten ersten Satz, zu finden. Wolf Schneider, damaliger Leiter der Schule und so etwas wie der Papst der deutschen Journalistenausbildung, hielt Birnbaum bei der Stange: Entweder, so Schneider, solle der Journalistenschüler Birnbaum sofort das Handtuch werfen - oder die Suche nach dem Einstieg als das begreifen, was sie ist: als große Herausforderung, der jeder Journalist sich "hochmütig zu sich selbst" immer wieder zu stellen hat. "Am Anfang steht das Urteil", heißt es in dem nun prämierten Essay.
Robert Birnbaum, gebürtiger Westfale und heute 49 Jahre alt, hielt also durch. Längst kennt er den Parlamentsbetrieb wie kaum ein anderer. Seit 1985 berichtet er aus dem Bundestag, zunächst für die Nachrichtenagentur Reuters in Bonn, seit 1997 für den "Tagesspiegel" aus Bonn und Berlin. Die Zeit hat ihm so manche Aufklärung und Erkenntnis geliefert, und ihn dennoch keineswegs vollständig desillusioniert. Auch nach all den Jahren, sagte Robert Birnbaum in seiner Dankesrede, verbinde ihn mit dem Bundestag so etwas wie eine "kleine Liebe". Und Birnbaums Texte haben im Gegensatz zu manchem journalistischen Schnellschuss eine gute Haltbarkeitsdauer: "Ein Birnbaumtext ist wie ein alter Kognak, so Peter Frey, den muss man genießen." Doch der Bundestagspräsident widerspricht: "Der Genuss von Kognak ersetzt nicht die Lektüre von Tageszeitungen."
Informationen unter: www.bundestag.de/aktuell/archiv/2007/medienpreis