Obwohl der Berliner Hauptbahnhof erst ein gutes halbes Jahr alt ist, hat er eine lange Geschichte - eine Geschichte voller Querelen. Aktueller Streitpunkt: Der Bahnhof sieht nicht so aus, wie von Architekt Meinhard von Gerkan und seinem Team eigentlich geplant. Denn: Das Glasdach in Ost-West-Richtung ist 130 Meter kürzer als vorgesehen und die Zwischendecke über der Nord-Süd-Trasse ist flach, statt kathedralenartig gewölbt.
"Die Entscheidungslage war für uns damals so klar, dass wir keine Wahl hatten", erläuterte Wolf-Dieter Siebert, Vorstandsvorsitzender der DB Station und Service und damit Chef aller deutschen Personenbahnhöfe, am 17. Januar vor dem Verkehrsausschuss. Die Entscheidungen für das kürzere Dach und die einfachere Flachdecke seien sowohl aus zeitlicher, wie aus finanzieller Sicht zwingend notwendig gewesen. Allein die Nord-Süd-Verbindung im Untergeschoss des Bahnhofs hätte, wäre sie nicht fristgerecht fertig geworden, die Bahn zusätzlich 200 Millionen Euro gekostetet, rechnete Siebert den Abgeordneten vor.
Eine Verzögerung der Inbetriebnahme der Ost-West-Verbindung hätte außerdem "immense Auswirkungen auf das gesamte Verkehrssystem in Deutschland gehabt", so Siebert. Der Bau des wie ursprünglich geplant 450 Meter langen Daches über dieser Trasse hätte die Bauzeit um weitere zwei Jahre verlängert, erläuterte der Bahnvorstand. Der Bahnhof wäre damit nicht zur Fußballweltmeisterschaft, sondern erst im Jahr 2008 fertig gestellt worden - sechs Jahre später als vorgesehen. Unter anderem durch diese pragmatischen Entscheidungen sei es der Bahnspitze um Vorstandschef Hartmut Mehdorn gelungen, die explosionsartig gestiegenen Baukosten von zwischenzeitlich prognostizierten 1,2 Milliarden Euro auf rund eine Milliarde zu reduzieren. Dem aktuellen Management könnten deshalb keine Vorwürfe gemacht werden, betonte Siebert: "Wir haben als Management unsere Leistung erbracht."
Die Mehrheit der Abgeordneten im Verkehrsausschuss sieht das anders. Mit Ausnahme der SPD kritisierten die Abgeordneten parteiüberfgreifend die immens gestiegenen Baukosten und das Vorgehen der DB AG - vor allem der Konzernspitze. "Ich kann mir nicht vorstellen, wie ein Unternehmen wie die DB AG derart naiv in ein solches Großprojekt gehen kann", kritisierte Peter Hettlich von den Grünen die Projektplanung, die seiner Meinung nach viel früher auf Probleme und mögliche Verzögerungen hätte aufmerksam werden müssen. "Ich kann nur den Kopf schütteln bei soviel Diletantismus." Wie seine Kollegen von Union, FDP und Linken kritisierte er deshalb vor allem das Projektmanagement der DB und forderte personelle Konsequenzen. Mit Blick auf die Baukosten von rund einer Milliarde Euro hieß es aus den Reihen der Unionsfraktion: "Der Schaden, der da entstanden ist, ist ein gigantischer Wertverlust des Unternehmens Deutsche Bahn AG." Die Linke sieht gar eine mögliche Verschwendung von Steuermitteln: Man "habe den Eindruck, dass da Kosten zu Lasten des Steuerzahlers erzeugt worden sind, die vermeidbar gewesen wären", sagte Dorothee Menzner von der Linksfraktion. Einzig die SPD-Fraktion zeigte Verständnis für die DB AG und deren Vorgehen. Man müsse "das Spekulative etwas runterholen", forderte ein Abgeordneter. Die Bundesbahn habe in der Situation das einzig Richtige gemacht und dabei auch noch Kosten gespart, sagte er.
Die Abgeordneten wollen sich nun kundig machen, ob - entgegen den Aussagen der DB AG - nicht doch eine nachträgfliche Verlängerung des Dachs möglich ist. Um zu klären, wie es zu den viel höheren Baukosten und der immensen Verzögerung der Fertigstellung des Bahnhofs kommen konnte, fordern Abgeordnete, auch den Architekten, die Statiker und das Eisenbahnbundesamt als zuständige Genehmigungsbehörde zu befragen. Zunächst allerdings müssen jetzt die Schäden beseitigt werden, die durch Orkan "Kyrill" entstanden sind. Außerdem muss geklärt werden, warum die tonnenschweren Stahlträger abgestürzt sind.