Innere Sicherheit
Zwischen Schutz und Freiheit: Die Koalition streitet über die Richtung.
Wie sicher kann ein Staat das Leben seiner Bürger machen - und wieviel Freiheit darf er ihnen dabei nehmen? Neben vielen anderen strittigen Themen ringt die Große Koalition derzeit besonders heftig um diese Frage. Während Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) nicht müde wird, vor den Gefahren des internationalen islamistischen Terrorismus zu warnen, denen er gern mit so scharfen Sicherheitsgesetzen wie möglich begegnen würde, warnt die SPD vor überzogenen Eingriffen in die Freiheitsrechte der Bürger. Der oberste Datenschützer der Republik, Peter Schaar, sieht Deutschland ohnehin auf einem gefährlichen Weg hin zu Manipulation und Missbrauch der Daten seiner Bürger.
In seinem Tätigkeitsbericht ( 16/4950 ), den er am 24. April vorlegte, konstatiert der Bundesbeauftragte für den Datenschutz eine "bedenkliche Schieflage" zwischen Gesetzgebungsvorhaben, die das Recht auf informationelle Selbstbestimmung einschränken, und den nötigen Anpassungen des Datenschutzrechts an neue technologische Entwicklungen. Viele Medien verbreiten derzeit dasselbe Bild - Passbild-Abfrage, biometrische Pässe, vom Geheimdienst zum Ausspähen auf Computer gespielte Trojaner scheinen geeignet, die Ängste vor einem Orwellschen Überwachungsstaat zu schüren, in dem Freiheit nichts und Sicherheit alles gilt.
Die Verfechter der Bürgerrechte konnten nun zumindest in einem Punkt einen Erfolg verzeichnen: Zu Anfang der Woche teilte der innenpolitische Sprecher der SPD, Dieter Wiefelspütz mit, die geplante Vorratsspeicherung von Fingerabdrücken sei vom Tisch, weil "die SPD das nicht mitmacht". Man werde ausschließlich den Beschluss des Bundeskabinetts umsetzen, die Fingerabdrücke zur Erstellung biometrischer Pässe zu verwenden und sie dann wieder zu vernichten. Eine Vorratspeicherung halte man für "verfassungswidrig".
Eine überraschende Erkenntnis förderte dann die Sitzung des Innenausschusses am 25. April zutage: Ein Vertreter des Kanzleramts teilte lapidar mit, die Geheimdienste führten längst Online-Durchsuchungen von privaten Computern durch - nachdem Schäuble wochenlang dafür gekämpt hatte, dass die Polizei diese Befugnisse erhält. Nur einen Tag nach dieser Sitzung gab das Innenministerium bekannt, man habe die Durchsuchungen gestoppt. Die seit 2005 praktizierten Ausspähungen waren durch eine Dienstvorschrift des damaligen Innenministers Otto Schily (SPD) ermöglicht worden - eine juristische Grundlage, die die grüne Innenexpertin Silke Stokar von Neuforn "abenteuerlich" nannte.
In einer Aktuellen Stunde am 25. April, die auf Wunsch der Linken stattfand, bezeichnete Jan Korte (Die Linke) dieses Verfahren als "Skandal". Man brauche keinen "präventiven Sicherheitsstaat", wie er der Bundesregierung vorschwebe. Die Liberale Gisela Piltz warnte Schily davor, die Freiheit durch zu viel Überwachung aufzugeben. Die SPD habe schon unter Rot-Grün damit begonnen, "die Bürgerrechte auszuhöhlen".
Für die Grünen warf Wolfgang Wieland dem Innenminister vor, er verfolge drei langfristige Ziele: die Verschmelzung von innerer und äußerer Sicherheit mit dem Wunsch, eine Nationalgarde zu bekommen, die Verschmelzung von Geheimdienst und Polizei zu einem Bundessicherheitsamt und die Verknüpfung möglichst aller Daten der Deutschen, um zu einem "gläsernen Bürger" zu gelangen. Dies müsse verhindert werden.
Schäuble wehrte sich gegen diese Angriffe. Die terroristische Bedrohung sei "leider keine Kleinigkeit" - man habe im vergangenen Jahr Glück gehabt, dass die Kofferbomben nicht explodiert seien. Es gelte, den freiheitlichen Verfassungsstaat "mit aller Entschiedenheit" zu verteidigen. Seit der Föderalismusreform habe der Bund erstmals die originäre Zuständigkeit für die polizeiliche Gefahrenabwehr und das Bundeskriminalamt verfüge über eine Präventivbefugnis - dies müsse nun gesetzgeberisch umgesetzt werden.
Schäuble bekräftigte, dass die Online-Durchsuchungen von Computerfestplatten nötig seien, ebenso wie eine klare Rechtsgrundlage für die Voraussetzungen dieser Maßnahme. Mit Blick auf die SPD betonte der Innenminister, insbesondere Klaus-Uwe Benneter habe die persönliche Zusammenarbeit jüngst "vielleicht ein bisschen strapaziert". Der wiederum bemühte sich festzustellen, er habe den Innenminister nicht - wie kolportiert - als Sicherheitsrisiko bezeichnet. Auch Dieter Wiefelspütz war nach den Auseinandersetzungen der Koalitionspartner in den vergangenen Wochen darum bestrebt, die Wogen zu glätten: Er rate dazu, zu einer "Diskussion mit Augenmaß" zurückzukehren - die SPD sei dazu bereit. Gegenüber dieser Zeitung bekräftigte Wiefelspütz, er sei "nicht zufrieden mit dem Erscheinungsbild" der Koalition in jüngster Zeit. "Aber ich freue mich, dass ich die Bundesregierung von meiner Rechtsauffassung überzeugt habe" und die Online-Durchsuchungen so lange gestoppt seien, bis es eine Rechtsgrundlage dafür gebe. Man werde sich nicht mehr "bekriegen". Ähnlich sieht dies der CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach. Er sagte, er glaube nicht, dass der Streit um die innere Sicherheit zum Bruch der Koalition führe. "Das hat für die SPD gerade mehr mit Umfragewerten als mit der Sache selbst zu tun. Je sachlicher wir diskutieren, desto größer sind die Übereinstimmungen."