BERICHT ZUM HAAGER PROGRAMM
Geplantes EU-Datenabkommen wird von Datenschützern kritisiert
Eigentlich wollte der für Justiz und Inneres zuständige EU-Kommissar Franco Frattini am 4. Juli die Jahresbilanz seiner Abteilung für das vorangegangene Jahr vorlegen. Doch sein recht kritisches Resume - 154 Vertragsverletzungsverfahren im Jahr 2006, während 2005 nur in 100 Fällen der Europäische Gerichtshof eingeschaltet wurde - ging beinah unter. Fast nebenbei kündigte Frattini für den Herbst ein "recht ehrgeiziges Paket" an, zu dem auch ein Passagierdatenabkommen für die Europäische Union gehören soll.
PNR für "Passenger names record" ist in Brüssel ein Reizwort, seit die EU-Kommission mit den USA monatelang über ein derartiges Abkommen für den Reiseverkehr zwischen Europa und Amerika verhandelt hat. Es wurde erst Ende Juni zum Abschluss gebracht und wird von Datenschützern scharf kritisiert.
Zwar betonten die Verhandlungsführer von EU-Seite, dass künftig nur noch 19 Daten erhoben werden. Nach dem bislang geltenden Übergangsabkommen waren es 34. Dafür verlängert sich die Speicherdauer von dreieinhalb auf sieben Jahre - danach werden die Informationen in eine andere Datenbank verschoben, wo sie weitere acht Jahre begrenzt zugänglich sind. Der deutsche Datenschutzbeauftragte Peter Schaar bezeichnete die Vereinbarung als "unzureichend". Auch warf er den europäischen Verhandlungsführern indirekt Etikettenschwindel vor: Die Absenkung von 34 auf 19 Datenfelder komme dadurch zu Stande, dass zum Beispiel mehrere Identifikationsdaten künftig als ein Datensatz gezählt werden.
Schaar kritisierte auch, dass weiterhin sensible Daten wie Essenswünsche von Passagieren übermittelt werden.
Frattini will nun den Mitgliedstaaten einen Rahmenbeschluss vorschlagen, der es ermöglicht, auf freiwilliger Basis Daten von Passagieren zu sammeln, die auf europäischen Flughäfen ankommen. "Die meisten terroristischen Vorhaben werden von radikalisierten jungen Menschen aus dem eigenen Land verübt. Deshalb brauchen die Mitgliedsstaaten eigene Datenbanken mit Passagierdaten, die sie erforderlichenfalls mit anderen Mitgliedsstaaten austauschen können," erklärte Frattini. Details nannte der Kommissar nicht. Das Projekt sei noch nicht ausgereift.
Auch Bombenbauern will Frattini durch mehr Datenaustausch das Handwerk legen. Eine EU-weite Datenbank soll registrieren, wo Sprengstoff gestohlen wurde oder verloren ging. Ähnliche Datenbanken gibt es in der EU schon für gestohlene Autos und Personalausweise im Rahmen des Schengeninformationssystems (SIS). Websites mit Anweisungen zum Bombenbasteln sollen verboten werden. Europol soll dafür zuständig sein und ein deutsches Suchprogramm verwenden, das bereits erfolgreich bei der Fahndung nach Kinderpornographie im Internet eingesetzt wird. Internet-Betreiber sollen für das Problem sensibilisiert werden und Seiten sperren, die einen Bezug zur terroristischen Szene haben.
Bei seiner Bilanz der europäischen Zusammenarbeit im Justiz- und Innenbereich für das Jahr 2006 bekannte der Kommissar, er habe "gemischte Gefühle". Noch immer seien die Entscheidungsprozesse in den Bereichen, wo der Rat einstimmig über etwas beschließen müsse, mühsam. Deshalb sei es wesentlich für die Verwirklichung des europäischen Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, dass in der nun anstehenden Vertragsreform ein möglichst großer Teil in den Bereich der Mehrheitsentscheidungen überführt werde.
Vor allem bei der grenzüberschreitenden Kriminalität und der Terrorismusbekämpfung müsse die qualifizierte Mehrheit eingeführt werden, um die Entscheidungsprozesse zu beschleunigen". "Das Ausmaß terroristischer Bedrohung nimmt meiner Einschätzung nach zu", sagte Frattini. Er kündigte für diese Woche ein Grünbuch zum Thema Bioterrorismus an, das er mit dem für Gesundheitsfragen zuständigen zypriotischen Kommissar Markos Kyprianou zusammen vorlegen will.
In den nächsten Tagen sollen alle Mitgliedsstaaten einen Fragebogen erhalten, in dem die Kommission nach Frattinis Worten "ein heikles Thema" ansprechen will: Wie ist die religiöse Erziehung im jeweiligen Land geregelt? Wer finanziert die Schulen, die Ausbildung der Lehrer? Gibt es Ansätze für einen europäischen Islam? Wie kann Radikalisierung vermieden werden? "Es ist an der Zeit, das Thema auf den Tisch zu legen, damit eine politische Diskussion in Gang kommen kann", glaubt Frattini. Die Mitgliedsstaaten könnten gegenseitig von ihren Erfahrungen profitieren. Bis Ende September sollen die Antworten in Brüssel sein, damit sie in das geplante Gesetzespaket noch einfließen können.
Seine Leistungsbilanz für das Jahr 2006 beendete der Kommissar mit guten Noten im Bereich Grundrechte und Bürgerrechte. Die Agentur für Grundrechte in Wien habe ihre Arbeit aufgenommen, eine Strategie zur Stärkung der Rechte des Kindes sei auf den Weg gebracht. Im November 2006 habe die Kommission ein Grünbuch über diplomatischen und konsularischen Schutz der Bürger herausgebracht.
Im Zivilrecht habe es deutlich mehr Fortschritte als im Strafrecht gegeben. So sei die Vollstreckung geringfügiger Ansprüche in anderen europäischen Ländern erleichtert worden. Es sei aber nicht gelungen, Mindeststandards bei Strafverfahren durchzusetzen und so die gegenseitige Anerkennung von Gerichtsurteilen zu erleichtern. Zuletzt war unter deutscher Ratspräsidentschaft Justizministerin Brigitte Zypris an diesem Vorhaben gescheitert.