VORRATSDATENSPEICHERUNG
Bürger engagieren sich für ihr Recht auf ein selbstbestimmtes Leben
Seit Jahren lauscht das Ohr des Staates an bundesdeutschen Telefonanschlüssen. Ob Terrorismus, Organisierte Kriminalität oder Kinderpornographie, die polizeilichen Ermittler sind angewiesen auf die heimlichen Mäuschenspiele. Die strafprozessuale Rechtslage dieser Praktiken ähnelt jedoch dem verworrenen Knäuel der angezapften Telefonleitungen. Auch das Bundesverfassungsgericht forderte den Gesetzgeber wiederholt auf, Vorkehrungen zum "Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung" zu treffen, wie im Urteil zum Niedersächsischen Polizeigesetz vom Juli 2005.
Mit diesem Wirrwarr ist jetzt Schluss: Ein Gesetzentwurf der Bundesregierung ( 16/5846 ) soll die heimlichen Ermittlungsmethoden harmonischer und transparenter gestalten. Gleichzeitig regelt der Entwurf die Umsetzung einer EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung.
Genau diese EU-Richtlinie vom März 2006 ist für Datenschützer schon lange ein rotes Tuch. Alle so genannten Verkehrsdaten - sprich: Telefon-, Handy- und E-Mailverbindungen - müssen automatisch von den Anbietern gespeichert werden. Sechs Monate bleiben diese Datenberge dann für die Strafverfolgungsbehörden vorrätig. Inhalte der Gespräche oder Mails dürfen nicht aufgezeichnet werden. Um die Daten abzurufen, ist eine richterliche Erlaubnis nötig. Die darf der Richter nur bei erheblichen Straftaten - zum Beispiel Hochverrat und Gefährdung der Demokratie - oder Straftaten, die mittels Telekommunikation begangen werden, erteilen.
"Hier werden die Mindeststandards der Richtlinie überschritten. Telekommunikations-Kriminalität gehört nicht zu den erheblichen Straftaten", kritisiert Peter Schaar, Bundesbeauftragter für den Datenschutz. Die Hürde für den Zugriff der Nachrichtendienste auf die Daten sollte nach Meinung des obersten Datenschützers höher sein.
Kritik an der Vorratsdatenspeicherung hagelt es auch seitens der Oppositionsfraktionen im Bundestag. Vom "Raubbau am Rechtsstaat" spricht die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Strikte Ablehnung des Entwurfs ist auch die Haltung der Linksfraktion. Der Überwachungsstaat werde Realität, schimpft ihr rechtspolitischer Sprecher Wolfgang Neskovic. Auch die FDP-Fraktion glaubt nicht, dass die Datenspeicherung zu mehr Sicherheit beitragen werde, wie ihr Rechtsexperte Jörg van Essen es formuliert. Unterdessen regt sich in der Bevölkerung Kritik an der Datensammlung. Im Dezember 2005 gründete sich dazu ein Arbeitskreis. Über 450 Einzelpersonen und mehrere Verbände versuchen mit gezielter Öffentlichkeitsarbeit die Vorratsdatenspeicherung zu stoppen. Außerdem droht der Arbeitskreis mit einer Verfassungsklage. Sein Argument: "Die Speicherung stellt die bislang größte Gefahr für das Recht auf ein selbstbestimmtes und privates Leben dar", so der AK-Sprecher Werner Hülsmann.
Mit ihrem Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Vorratsdatenspeicherung sind die Bürger nicht alleine. Quer durch die Reihen der Opposition wird befürchtet, dass der Entwurf dem Urteil des höchsten deutschen Gerichts nicht standhalten würde.
Das sehen die Regierungsparteien anders. Man habe lediglich die Mindeststandards der EU-Richtlinie umgesetzt, unterstreicht Joachim Stünker, rechtspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion. Auch sein Kollege von der Union, Jürgen Gehb, betont gegenüber "Das Parlament": "Ich bin der festen Überzeugung, dass die Regelungen verfassungsgemäß sind." Ohne Kenntnis der Verkehrsdaten sei es nicht möglich, die vom internationalen Terrorismus ausgehenden Gefahren wirksam abzuwehren, fügt er hinzu.
Der zweite Baustein des Gesetzentwurfs ist die Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung (TKÜ). Bei den Arbeiten am Entwurf habe man sich an der Verhältnismäßigkeit und am Schutz des unantastbaren Kernbereichs orientiert, erklärt Stünker. Herausgekommen sind umfassende Änderungen der Strafprozessordnung, die vorsehen: Heimliche Überwachungsmaßnahmen bedürfen grundsätzlich einer richterlichen Anordnung, der Betroffene muss nachträglich darüber informiert werden. Die Überwachung ist nur bei schweren Straftaten wie Mord, Totschlag oder Kinderpornographie erlaubt. Dabei muss ein "erhöhter Anfangsverdacht", so der Entwurf, bestehen. Private Gesprächsinhalte dürfen nicht verwertet werden.
Heftige Kritik an den Neuregelungen übten bereits Medienvertreter und Journalisten. Sie sind nicht - wie Verteidiger, Geistliche und Parlamentsabgeordnete - durch ein generelles Abhörverbot geschützt. Ein Aktionsbündnis, in dem sich unter anderem ZDF und ARD engagieren, sieht darin eine Gefährdung der Pressefreiheit und eine Aushöhlung des Informatenschutzes. In einem Aufruf appellieren die Journalisten an das Bundeskabinett, "das Grundrecht der Pressefreiheit nicht vorschnell der Verbrechensbekämpfung zu opfern". Diese Befürchtung kann Peter Schaar nachvollziehen. Trotzdem begrüßt er den Enwurf in der Hoffnung, damit den "Wildwuchs immer neuer Straftatbestände bei der Überwachung" einzudämmen. Momentan steht das Gesetz ohnehin am Anfang des parlamentarischen Verfahrens. Im Herbst wird es vermutlich zwei Expertenanhörungen geben. Das letzte Wort zu allen Kritikpunkten ist also noch nicht gesprochen, meint auch der oberste Datenschützer. Verena Frick