Regierungs-PR
In der Politik läuft nichts mehr ohne eine mediengerechte Verkaufsstrategie
Nach empfindlichen Wahlniederlagen oder wenn Umfragewerte in den Keller fallen, fragen die Politiker meistens nicht, ob ihre Politik schlecht war, sondern sie machen als Grund ein "Vermittlungsproblem" aus: Die an sich richtige Politik werde nur "falsch verkauft". Die Verantwortlichen sind rasch gefunden: das Presseamt, der Regierungssprecher, die Öffentlichkeitsarbeiter, die Agenturen, die Berater.
Als Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) 1982 kurz vor seiner Abwahl stand und retten wollte, was zu retten war, wechselte er seinen Sprecher aus. Dasselbe tat Regierungschef Helmut Kohl (CDU) 1998 als er auf eine Wahlniederlage zusteuerte. Wer heute Bundeskanzler, Ministerpräsident oder Minister werden will, muss medientauglich sein und vor der Fernsehkamera eine gute Figur machen. Ausschlaggebend für die perfekte Performance ihrer Chefs sind diejenigen, die aus dem Hintergrund öffentliche Auftritte vorzubereiten haben: Pressesprecher und PR-Berater. Von ihnen handelt dieses Handbuch, das erste gründliche Überblickswerk zur Öffentlichkeitsarbeit von Regierungen.
Die Aufsatzsammlung nähert sich der Regierungskommunikation aus unterschiedlichen Sichtweisen. Hierzu ist der Band in einen Grundlagen- und einen Praxisteil gegliedert. Der erste Teil zeigt die wichtigsten Entwicklungen, Akteure, Dependenzen und Handlungsrahmen. Er stellt allerlei Daten und Fakten zusammen, wobei die Geschichte der Regierungspropaganda der NS-Zeit äußerst dürftig und die der SED in der DDR überhaupt nicht behandelt wird, was beides bedauerlich ist.
Ausführlich und durchweg kenntnisreich wird das Zusammenspiel von Politik und Medien beleuchtet. Weitere Themenblöcke sind Regierungs-PR der Ministerien sowie rechtliche Aspekte, wobei die Abgrenzung von Information und Werbung eine wesentliche Rolle spielt. Einblick in die Ausschreibepraxis für PR-Aufträge bietet ein kundiger Artikel, dessen Wert allerdings dadurch geschmälert ist, dass der Autor anonym bleibt.
Der zweite Teil beinhaltet handwerklich-praktische Fragen: Kampagnen, Strategien und Instrumente der Regierungskommunikation werden manchmal anschaulich, häufig aber ziemlich verschwommen und umständlich dargestellt. Außerdem sind schwierige Aufgaben wie Krisenkommunikation und Dialogkommunikation beschrieben, wozu die Frage gehört, ob und wie die Akzeptanz ungeliebter "Reformen" durch Kampagnen erhöht werden kann. Zum Schluss geht es um Qualität von Kommunikation und deren Messbarkeit. Erleichtert werden Lektüre und Verständnis, indem jedem Text Inhaltsangabe, Schlüsselbegriffe und Angaben zu den Autoren vorangestellt sind. Am Ende jedes Beitrags werden die Thesen zusammengefasst.
Das Jahr 1998 war, so heißt es, "eine Zeitenwende der politischen Kommunikation". Mit einem begabten, professionell beratenen "Medienkanzler" und einem nicht weniger geschickt agierenden Außenminister hat die rot-grüne Koalition Maßstäbe gesetzt. Die Kombination aus Gerhard Schröders und Joschka Fischers geballtem Kommunikationstalent mit einem fortgesetzten offensiven Themenmanagement und einer phantasiereichen Schlagwörterproduktion bestimmte phasenweise die Regierungsarbeit, auch wenn es dabei Misserfolge und Rückschläge gab.
Gekennzeichnet waren die Regierungswechsel von 1998 und 2005 aber auch durch eine gegenläufige Tendenz: Ebenso wie sich Schröder vor seiner Wahl auf den Rückhalt einflussreicher Journalisten stützen konnte, betrieben sieben Jahre später maßgebliche Medienakteure seine Abwahl, schlugen sich offen auf die Seite der CDU-Kandidatin Angela Merkel. Was sich seither geändert hat, konnte von diesem Buch noch nicht erfasst und bewertet werden. Klar ist den Herausgebern nur: "Regierungskommunikation muss authentisch inszeniert werden." Und: "Moderne Regierungskommunikation ist in ihrer idealen Form dialogorientiertes Stakeholdermanagement, welches in den politischen Entscheidungsprozess integriert ist." Das liest sich ernüchternd und ist es auch. Gefragt sind: Mediengerechte Verkürzung der Sachverhalte, Vereinfachung und Zuspitzung, Symbolisierung und Personalisierung.
Immer wieder berühren die Artikel die Urteile des Bundesverfassungsgerichts von 1966, 1977 und 1983, mit denen die Handlungsspielräume für die Öffentlichkeitsarbeit der Regierung abgesteckt und die Grenzen zu politischer Werbung zu Gunsten der die Regierung tragenden Parteien abgesteckt wurden. In der Praxis sind sie fließend geblieben. So wirkt ein Beitrag zu Grenzüberschreitungen durch die rot-grüne Koalition an dieser Stelle einseitig, weil sich für ähnliche Machenschaften der CDU/CSU ebenfalls reichlich Beispiele finden ließen. Die Informationstätigkeit des Bundespresseamts während einer großen Koalition verwischt die Grenz- linien eher.
Als gelungene Beispiele für nicht einer Partei, sondern dem Staat nützende Kampagnen werden die zum Einstein-Jahr und zur Fußball-Weltmeisterschaft 2006 dargestellt. In der Tat brachten sie weltweit positiven Imagegewinn, nicht zuletzt weil sie kreativ und unkonventionell waren. Alles in allem ist dieses vielschichtige Handbuch ein brauchbarer Leitfaden für Öffentlichkeitsarbeiter und nützlich zur Selbstvergewisserung für Journalisten.
Handbuch Regierungs-PR.
VS-Verlag, Wiesbaden 2006; 499 S., 49,90 ¤