DANIEL LITVIN
Der Wettbewerb um die Öl- und Gasreserven der Welt wird härter, sagt der britische Energieexperte und Buchautor
Herr Litvin, ein russisches U-Boot steckt eine Flagge in der Arktis auf den Meeresgrund. Zwei Wochen später startet eine neue Expedition aus den USA in Richtung Norden. Was hat das zu bedeuten?
Das ist nur ein weiteres Symptom des globalen Wettkampfs um die Öl- und Gasreserven der Welt. Der Wettbewerb wird härter und härter. Die Industrieländer versuchen ihre Energiereserven für die nächsten Jahre zu sichern und stehen so in direkter Konkurrenz.
Dieses Wettrennen findet nicht nur in der unbelebten Antarktis statt, sondern beeinflusst auch die Politik in verschiedenen Krisenregionen der Welt...
Der Energiebedarf der Welt wird zunehmend von einer kleinen Gruppe von Ländern gedeckt, die geologisch mit großen und zugänglichen Reserven gesegnet sind. Die Energie importierenden Länder - nicht nur der Westen, sondern auch China und Indien - versuchen, Verträge mit Ländern im Nahen Osten, Zentralasien und vor allem Afrika abzuschließen und Lizenzen zu bekommen, um Öl- und Gasfelder zu entwickeln. Dieses Kopf-an-Kopf-Rennen birgt jedoch hohe Risiken.
Warum heizt sich die Energiewirtschaft in der letzten Zeit so auf?
Es gibt eine ganze Reihe von Faktoren. Zum einen gibt es ein schnelles Wachstum der Nachfrage. Die Industrialisierung in China, Ostasien und Indien ist eben sehr energieintensiv. Die Internationale Energieagentur IEA prophezeit zum Beispiel bis zum Jahr 2030 eine Steigerung um 50 Prozent. Und dieser Mehrbedarf wird bis zu 80 Prozent durch fossile Brennstoffe gedeckt werden. Dazu kommt, dass viele der heimischen Reserven in der entwickelten Welt zu Ende gehen . . .
Sie sprechen von den Ölvorkommen in der Nordsee?
Zum Beispiel. Die meisten Ölfelder liegen nun mal in unentwickelten und recht unsicheren Regionen der Welt. Wenn das nicht gut gemanagt wird, dann steigen Energiekosten und Risiken. Noch basiert die Energiewirtschaft zum größten Teil auf friedlichen Geschäften zwischen friedlichen Ländern und den jeweiligen Firmen, welche die Energiereserven unter kommerziellen Vorzeichen ausbeuten. Aber wenn Angst und Sorge dominant werden, wächst die Gefahr, dass nicht nur Diplomatie eingesetzt wird.
Manche spreche schon von Energie-Imperialismus.
Energiefragen bestimmen das Verhalten der USA oder Großbritanniens zu den großen Versorgernationen. Sie bestimmen auch das Verhalten Russlands gegenüber den unmittelbaren Nachbarn. Und China entwickelt starke Verbindungen zu afrikanischen Staaten. Ich kritisiere das nicht grundsätzlich, es ist wirtschaftlich sinnvoll, dass Industriestaaten versuchen, ihre Energieversorgung sicherzustellen. Die Frage ist nur: Welche Mittel setzen sie dabei ein? Eine neoimperiale Strategie wäre es, so wie China nicht auf "weiche" Themen wie Menschenrechte, Transparenz und Demokratie zu achten - und sich mit kurzfristigen Zielsetzungen und aggressiven Mitteln gegen Wettbewerber durchzusetzen. Oder die Länder und Firmen verfolgen eine längerfristige, nachhaltige Strategie, die auf Zusammenarbeit statt auf Konfrontation setzt und die auch die Entwicklung des produzierenden Landes zum Ziel hat.
Meine Theorie ist, dass diese "weiche" Form effektiver ist. Nicht aus ethischen Gründen, sondern weil stabile Länder bessere Geschäftspartner sind. Die Realität sieht leider noch anders aus.
Welches ölproduzierende Land ist schon stabil - außer Norwegen?
Es gibt leider in den vergangenen Jahrzehnten sehr wenige Beispiele für energiereiche Staaten, die sich in stabile Demokratien verwandelt haben. Es ist sogar von "einem Fluch der Ressourcen" die Rede. Magie spielt hier jedoch keine Rolle, sondern wir haben es vor allem mit schlechten Regierungs- und Managementleistungen zu tun. Der Geldfluss schafft korrupte, ethisch geteilte und repressive Regime. Und auch der Westen hat als Gegenleistung für Energielieferungen in den vergangenen 70 Jahren oft undemokratische Regierungen unterstützt. Denken Sie nur an Amerikas jüngsten Waffendeal mit Saudi-Arabien. Aber nur weil es in der Vergangenheit nicht geklappt hat, dürfen wir nicht aufgeben. Es ist in unserem eigenen Interesse.
Warum?
Es ist einfach eine Funktion der globalisierten und verknappten Energiewirtschaft, dass Industriestaaten an unsichere Regionen angebunden sind. Wer Öl und Gas aus einer Krisenregion importiert, erhöht auch die Gefahr von abrupten Lieferstopps. Deshalb müssen wir mehr Wert auf die Entwicklung der Energieproduzenten legen. Denn: Niemand wird behaupten, dass das jahrzehntelange Engagement der USA in Saudi-Arabien das Land zu einem zuverlässigen Partner gemacht hat. Ein Vorteil der angespannten Situation könnte aber sein, dass die Öffentlichkeit sich der Konflikte, schmutzigen Deals und Korruption in Zukunft eher bewusst wird. Wenn Rebellengruppen im Niger-Delta eine Plattform dicht machen, dann steigt der Ölpreis. Und mit dem steigenden Preis kommen auch die anderen Informationen in den Westen.
Was kann die öffentliche Meinung bewirken?
Sie ist wichtig. Sie kann zu mehr Zurückhaltung bei Firmen und Regierungen führen. Wir brauchen langfristiges Denken, Willen zur Kooperation. Die öffentliche Meinung ist konservativ und neigt außerdem zu Vereinfachungen. Sie ist kein Ersatz für gute Führung. Wir müssen die Verhaltensmuster der Vergangenheit vermeiden und uns kooperativen Ansätzen zuwenden. Wir müssen Institutionen wie die IEA und die OPEC, die Organisation Erdöl exportierender Länder, stärken. Und die Staaten müssen aufhören, nur ihre partikularen Interessen zu verfolgen, denn wenn jeder nur seine eigenen Interessen verfolgt, dann gewinnt keiner.
Sie haben als strategischer Berater für große Bergbaufirmen und Energieproduzenten gearbeitet. Haben die "global players" nicht schon längst mehr Einfluss als Regierungen?
Es gibt immer die Dinge, die passieren sollten, und die Dinge, die tatsächlich passieren. Die britische Regierung und British Petroleum sollten zusammenarbeiten, um in Afrika Entwicklung und Stabilität zu fördern. In der echten Realität kämpfen die Firmen mit allen Mitteln um den Zugang zu den Ölfeldern - und die Regierungen sollen dann helfen, die Deals zu sichern.
In Russland wiederum hat man den Eindruck, dass der Staat und Gasprom verschmolzen sind.
Bei einem Ölpreis von 70 oder 80 Dollar pro Barrel wird Energie zu einer politischen Waffe. Zwar beharrt Russland darauf, dass die Gaslieferstopps in die Ukraine und nach Georgien rein wirtschaftliche Maßnahmen gewesen seien, um die Preise auf Marktniveau anzuheben. Aber eigentlich reicht es schon, wenn das Manöver in den Nachrichten als politischer Akt wahrgenommen wird. Sollten sich die Atomverhandlungen zwischen den USA und dem Iran weiter aufheizen, könnte der Iran mit einer Seeblockade im Persischen Golf drohen.
Sind die Energie-Importeure gegen diese Ölpolitik machtlos?
Für die Energie-Exporteure ist das auch ein zweischneidiges Schwert. Wenn Energie-Embargos zu oft eingesetzt werden, ermutigt dies die Verbraucher, sich nach alternativen und sicheren Energiequellen umzuschauen. Das beinhaltet erneuerbare Energiequellen wie Solar- und Windkraft ebenso wie die gute alte Kohle. Wenn man aber noch Klimawandel-Überlegungen in die Gleichung integriert, dann wird es sehr schwierig, den Energie-Mix der Weltwirtschaft für die Zukunft vorherzusagen.
Daniel Litvin, 34, war Korrespondent des Wirtschaftsmagazins "The Economist" und berät heute global operierende Unternehmen in Fragen sozialer Verantwortung.
Das Gespräch führte Tobias Moorstedt. Er arbeitet als freier Journalist in München.