Nur ein Satz stand in Artikel 16 des Grundgesetzes geschrieben: "Politisch Verfolgte genießen Asylrecht." Einfach, und doch folgenschwer, denn fast eine halbe Million Asylanträge wurden allein im Jahr 1992 gestellt. Nach heftigen öffentlichen Diskussionen, angeheizt durch rechtsextremistische Gewalttaten, entschied sich am 15. Oktober 1992 eine Mehrheit von 365 Abgeordneten, den Artikel im Grundgesetz zu ändern. Dieser Entschluss des Bundestages ebnete den Weg für die Einschränkung des Asylrechts. Zukünftig sollte, wer aus einem als sicher geltenden Land oder einem sicheren Drittland einreist, kein politisches Asyl mehr erhalten.
Mit Demonstrationen und Blockaden im Bonner Regierungsviertel begleiteten die Gegner die Beratungen zum Entschließungsantrag des Bundestags. Der Parlamentarische Rat hatte sich 1949 bewusst für den Asylartikel entschieden - als Lehre aus der NS-Diktatur, während derer zahlreiche Deutsche Asyl in anderen Ländern fanden.
Auch im Parlament war die Absicht, das Grundgesetz zu ändern, umstritten. Die SPD-Fraktion blieb der Abstimmung über den eilig eingebrachten Regierungsantrag fern. "Eine Verfassungsänderung ist immer bedeutsam", betonte der Abgeordnete Hans-Ulrich Klose (SPD) im Plenum. Es müsse sorgsam abgewogen werden, was unantastbar sei, sagte er weiter. Die Bündnisgrünen und die PDS verweigerten ihre Zustimmung ganz. Andrea Lederer (PDS) unterstellte der Regierung, sie wolle das Recht auf Asyl abschaffen. Ihr Kollege Konrad Weiß (Grüne) argumentierte, viele Probleme seien mit einer konsequenten Umsetzung der bestehenden Gesetze lösbar.
Erst knapp ein Jahr später einigten sich Union, FDP und SPD auf einen Kompromiss, mit dem die erforderliche Zweidrittelmehrheit für die Verfassungsänderung zustande kam.