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Der neue Präsident ist Álvaro Colom. Er will vor allem gegen das soziale Gefälle vorgehen.
Schon auf den ersten Blick wird klar, dass Guatemala mit seiner leidvollen Geschichte des Militarismus gebrochen hat. Álvaro Colom, designierter Präsident, entspricht überhaupt nicht den typischen starken Männern, die das Land bisher regiert haben. Der große, schlaksige Unternehmer und Politfunktionär wirkt etwas unbeholfen und hat Mühe beim Sprechen, die Folge einer Verletzung in der Kindheit. Umständlich kommt denn auch sein erster Satz nach dem Wahlsieg am 4. November daher: "Mit diesem Ergebnis wendet sich eine tragische Geschichte des Landes."
Álvaro Colom bezeichnet sich selbst als "gebürtigen Sozialdemokraten". Im Wahlkampf versprach er, das Land mit "solidarischer Hand" aus Armut und Gewalt zu befreien. Das verfing entgegen allen Umfragen überraschend deutlich. Die Stichwahl gewann der 56-jährige Ingenieur mit 52,8 Prozent gegen den Ex-Brigadegeneral Otto Pérez Molina. Der rechtsgerichtete Rivale war mit seinem Slogan der "harten Hand" - für Todesstrafe und Notstandsrecht - auf 47,2 Prozent gekommen.
Colom wird am 14. Januar ein zerrüttetes und gespaltenes Land übernehmen. Mehr als die Hälfte der 13 Millionen Bürger Guatemalas leben in Armut. Bis zu 80 Prozent der Kinder in den ländlichen Regionen sind unterernährt. Und mit einer absurd tiefen Steuerquote von rund 11 Prozent der Wirtschaftsleistung hat der Staat kein Geld für Schulen, Krankenhäuser und Infrastruktur. Doch nicht alle sind arm. Während vor allem die Ureinwohner, die Nachfahren der Maya, in extremer Armut leben, leistet sich eine schmale, hellhäutige Oberschicht in der Hauptstadt ein luxuriöses Leben.
Die Spaltung Guatemalas spiegelt sich im Wahlergebnis. In der Hauptstadt gewann Rechtskandidat Pérez Molina. Dort leben vor allem Ladinos, wie sich die Weißen und die Mestizen in Guatemala bezeichnen. Colom aber gewann in den restlichen 21 Departementen, wo überwiegend Indigene leben. Indirekt zu Coloms Sieg beigetragen hat auch Rigoberta Menchú. Die Friedensnobelpreisträgerin und erste indigene Präsidentschaftskandidatin Guatemalas schied zwar schon in der ersten Wahlrunde im September mit einem unerwartet schlechten Ergebnis aus. Sie hatte aber dafür gesorgt, dass die Ausgrenzung der Maya-Nachfahren in Guatemala erstmals zum Wahlkampfthema wurde. Das wiederum begünstigte den für Guatemala so untypischen Colom. Obwohl er selbst Ladino ist, praktiziert er seit langem die Maya-Religion.
Colom ist angetreten, die semifeudalen Zustände in Guatemala zu beheben. Nach seinem Sieg kündigte er an: "Jetzt beginnt ein Prozess des Wandels und der Transformation, den es in 50 Jahren nicht gegeben hat." Damit spielte Colom auf Jacobo Arbenz an, den letzten linken Präsidenten des Landes. Auch Arbenz wollte die extreme Ungleichheit bekämpfen, stürzte aber 1954 nach einem von den USA finanzierten Putsch. Es folgten Militärregierungen und später ein Bürgerkrieg (1960-1996). Erholt hat sich Guatemala davon nicht. 6.000 Morde jährlich werden derzeit verübt. Damit kommen heute Tag für Tag mehr Menschen in Guatemala gewaltsam um als noch zu Zeiten des Bürgerkrieges. Colom hat angekündigt, die "Ursachen der Gewalt" zu beheben. Zunehmender Drogenhandel, außer Kontrolle geratene Polizeikräfte sowie im ganzen Land verbreitete gewalttätige Jugendbanden haben für Colom einen gemeinsamen Nenner: die Armut. Ganz oben auf der Agenda des neu gewählten Präsidenten steht darum ein "sozialer Pakt". Damit will Colom die reichen Unternehmer des Landes verpflichten, einen Beitrag für die wichtigsten Aufgaben zu leisten. Coloms Plan für die ersten 100 Regierungstage umfasst vor allem die Reform der korrupten Sicherheitskräfte und der Justiz, Sofortprogramme gegen die Unterernährung, sowie Investitionen in Schulen und Krankenhäuser.
Der Name von Coloms Partei "Nationale Einheit der Hoffnung" (UNE) ist Programm. Er will alle Sektoren des Landes in einen "nationalen Pakt" einbinden. Das wird nicht einfach. Die Unternehmer des Landes haben bereits vorsorglich Widerstand gegen jegliche Steuererhöhung angekündigt. Hinzu kommt, dass die UNE keine Mehrheit im Parlament hat. Sie kommt auf 51 der 158 Sitze. Coloms politisches Überleben hängt also davon ab, ob es ihm gelingt, Allianzen zu schmieden. Ein Signal wird das Kabinett sein, das er Anfang Dezember vorstellen will.
Bündnisse schließen will Colom auch außenpolitisch. Am Tag nach seiner Wahl kündigte er schon Treffen mit einer Reihe lateinamerikanischer Staatspräsidenten an. Beifall erhielt Colom dafür von der EU-Kommission, weil er erklärte, die Integration der traditionell zerstrittenen zentralamerikanischen Kleinstaaten vorantreiben zu wollen. Diese Integration ist Vorbedingung für ein Assoziierungsabkommen zwischen der EU und Mittelamerika, zu dem die ersten Verhandlungen im Oktober begonnen haben.