EU-ERWEITERUNG
Die Kandidaten für einen EU-Beitritt stehen ungeduldig vor der Tür. Die einstige Erweiterungseuphorie ist lange verflogen. Jetzt präsentierte Brüssel den neuen Fortschrittsbericht. Danach ist der Weg für die Bewerber noch lang.
Mit seiner Sprachgewandtheit stürzte der finnische Erweiterungskommissar Olli Rehn letzte Woche die Dolmetscher in Verwirrung. Am 6. November stellte er die jährlichen Fortschrittsberichte für die Kandidatenländer Kroatien und Türkei sowie die Länder des westlichen Balkans vor. Da dieses Datum in Finnland als "Schwedentag" gefeiert wird, sprach der Finne also schwedisch, "so wie ich in Zukunft erwarte, dass der serbische EU-Kommissar auch einmal kroatisch zu Ihnen sprechen wird. Was ihm nicht allzu schwer fallen dürfte."
Bis es so weit kommt, dass Serbien Mitglied der Europäischen Union wird, werden noch viele Jahre vergehen. Die Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien sowie Albanien könnten erst "mittel- bis langfristig" der EU beitreten, heißt es in der ebenfalls letzte Woche beschlossenen Erweiterungsstrategie. Doch Serbien kam seinem Ziel immerhin einen Schritt näher. Das Partnerschafts- und Assoziationsabkommen, das seit Monaten auf Eis liegt, wurde paraffiert. Dieses symbolisch-diplomatische Signal soll Belgrad ermutigen, noch enger mit dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag zusammen zu arbeiten.
Chefanklägerin Carla del Ponte sehe deutlich mehr Willen zur Kooperation bei den Politikern in Belgrad als früher, berichtete Rehn. Von 24 gesuchten serbischen Kriegsverbrechern müssten sich inzwischen immerhin 20 vor dem Tribunal in Den Haag verantworten. Unterzeichnet werde das Abkommen aber erst, wenn Belgrad "vollständig kooperiere" - wenn also auch Ex-General Ratko Mladic und der ehemalige Serbenführer Radovan Karadzic vor Gericht stünden. Die demokratische Entwicklung in Serbien bezeichnet der Kommissionsbericht als ungenügend. Auch die Nachbarstaaten werden kritisch bewertet. So sei in Bosnien-Herzegowina die Funktionsfähigkeit der staatlichen Behörden durch die Konflikte zwischen den Volksgruppen eingeschränkt. In Albanien und Mazedonien herrsche ein "hochgradig konfrontatives politisches Klima", in Montenegro wird die noch immer nicht beschlossene Verfassung angemahnt. Lediglich Kroatien erhält gute Noten. Allerdings müssten Minderheiten besser geschützt werden. Die Beitrittsverhandlungen mit Zagreb kämen gut voran "und treten in ihre entscheidende Phase ein", kündigte die Kommission an.
Auch in Richtung Türkei, das derzeit neben Kroatien als einziges Land Beitrittsverhandlungen führt, versuchte Rehn ein paar ermutigende Worte zu senden. Er betonte, die EU habe Verständnis für Ankaras schwierige Lage, das sich "terroristischen Angriffen der PKK ausgesetzt sieht und seine Bürger schützen muss". Allerdings dürfe die territoriale Integrität der Nachbarländer nicht verletzt werden. Mit einem Einmarsch im Irak gefährde Ankara seine Chancen, Mitglied der EU zu werden. Das Kommissionskollegium scheint in der Frage gespalten, wie die politische Entwicklung zu bewerten ist. Der Türkei-Bericht listet den Stand der Verhandlungen in 33 Politikbereichen auf, in die der Beitrittsprozess aufgeteilt ist. In acht Kapiteln, die den Kernbereich des freien Waren- und Personenverkehrs im Binnenmarkt betreffen, heißt es am Ende jeweils lapidar: "So lange die Beschränkungen für Schiffe und Flugzeuge, die aus Zypern kommen, bestehen bleiben, wird die Türkei die Voraussetzungen nicht erfüllen können, um das Kapitel abzuschließen."
Rehn kündigte an, in den kommenden Wochen werde man zwei neue Kapitel eröffnen: Verbraucherschutz und Gesundheit sowie transeuropäische Verkehrsnetze. Frankreichs Präsident Nicholas Sarkozy hatte in der Vergangenheit mehrfach angedroht, die Öffnung neuer Kapitel zu blockieren. In seine Richtung sagte Rehn streng, jedes Mitgliedsland habe sich an die Verpflichtungen zu halten, die die EU gegenüber Bewerberländern eingegangen sei. Eine Prognose, wann die Beitrittsverhandlungen mit weiteren Balkanländern eröffnet würden, lehnte Rehn ab. Da halte er es mit dem finnischen Komponisten Sibelius. Auf die Frage seiner Frau, wann er denn heimkäme, habe er geantwortet: "Schatz, ich bin Komponist, kein Prophet."
Hellsehen kann der Leiter der EU-Generaldirektion für Erweiterung ,Michael Leigh, zwar auch nicht. Er weiß aber, dass der Weg für die Beitrittskandidaten noch weit und beschwerlich ist:"Wir haben sichergestellt, dass die Verhandlungen mit Strenge durchgeführt werden", erklärte Leigh am 8. November vor den Abgeordneten des Europaauschusses in Berlin. Hinsichtlich der Türkei gab er sich verhalten optimistisch: Der Reformprozess in der Türkei hat sich in den letzten eineinhalb Jahren zwar verlangsamt, aber auch die neue türkische Regierung geht weiter auf dem Weg in Richtung Europa. Als positive Entwicklungen führte er die zivile Kontrolle über das Militär und die Religionsfreiheit an. "Schwer lasten" auf den Verhandlungen, so Leigh, aber noch immer die Zypernfrage und die mangelnde Meinungsfreiheit. Auch Kroatien hat bei den Beitrittsverhandlungen nach Ansicht Leighs "bedeutende Fortschritte" gemacht. Trotz Schwächen zum Beispiel bei der Justizreform oder der Korruption sei 2008 dabei ein entscheidendes Jahr, da bis Ende nächsten Jahres alle Kapitel zumindest eröffnet sein sollen.